Artikel

Die Verwahrung in der Schweiz

Ausgewählte menschenrechtliche Problembereiche

Abstract

Autorin: Anja Eugster

Publiziert am 16.12.2014

Bedeutung für die Praxis:

  • Der Eingriff in das Recht auf Freiheit wiegt bei einer Verwahrung besonders stark, da die Dauer dieser Massnahme an keine Obergrenze gebunden ist.
  • Die Anordnung und Aufrechterhaltung einer Verwahrung ist nur rechtmässig, wenn sie sich auf einen zulässigen Haftgrund stützt und regelmässig überprüft wird, ob dieser Haftgrund noch vorliegt. Zu prüfen ist namentlich, ob weiterhin eine Rückfallgefahr besteht und ob die Aufrechterhaltung des Freiheitsentzuges zum Schutz der Öffentlichkeit verhältnismässig bleibt.
  • Nur wenn für eine lebenslänglich verwahrte Person rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit einer Überprüfung besteht, bei welcher auch persönliche Veränderungen Berücksichtigung finden, hält eine lebenslängliche Verwahrung vor Art. 3 und 5 EMRK stand.
  • Eine verwahrte Person muss die Gelegenheit haben, ihr Verhalten zu ändern und damit zu zeigen, dass sie sich in der Freiheit bewähren könnte. Eine Möglichkeit hierzu bieten Vollzugsöffnungen.
  • Die Rechte einer verwahrten Person dürfen während des Vollzuges nur soweit beschränkt werden, als es insbesondere zur Gewährleistung des Schutzes der Öffentlichkeit vor weiteren Straftaten oder zur Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung erforderlich ist.
  • Für die Beurteilung der Schwere des Eingriffes in die Freiheitsrechte sind sowohl die Dauer als auch die Ausgestaltung des Vollzuges massgebend. Ein lockereres Haftregime kann folglich die Schwere des Eingriffes abschwächen.
  • Besondere Herausforderungen stellen sich bei einer Verwahrung von älteren Personen und psychisch Kranken.

Hintergrund: Die Verwahrung im Schweizerischen Strafgesetzbuch

Nach dem schweizerischen Strafgesetzbuch kann eine ordentliche Verwahrung als strafrechtliche Massnahme angeordnet werden, wenn ein Täter oder eine Täterin ein schweres Delikt (vgl. Deliktkatalog Art. 64 Abs. 1 StGB) begangen hat und damit eine schwere Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität einer anderen Person erfolgte oder beabsichtigt war. Zudem muss ernsthaft zu erwarten sein, dass er oder sie erneut ein solches Delikt begeht. Die Verwahrung kann dann verhängt werden, wenn eine Strafe allein nicht zur Rückfallverhinderung ausreicht. Sie dient im Gegensatz zur Strafe nicht der Schuldabgeltung, sondern der öffentlichen Sicherheit und hat einen präventiven Charakter: Die Gesellschaft soll vor zukünftigen Delikten der betroffenen Person geschützt werden.

Die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls wird im Rahmen eines Gutachtens festgestellt, welches eine Gefährlichkeitsprognose enthält. Problematisch ist, dass eine solche Prognose immer auch ein Fehlerrisiko birgt, da das zukünftige Verhalten einer Person nicht genau vorausgesagt werden kann.

Die Verwahrung kann unabhängig von der Schuldfähigkeit des Täters oder der Täterin (Art. 19 StGB) ausgesprochen werden.

Eine Verwahrung ist nur als ultima ratio anzuordnen, wenn der Gefährlichkeit der betroffenen Person nicht anders begegnet werden kann. So ist bei psychisch gestörten Tätern oder Täterinnen eine Anordnung nur möglich, wenn eine stationäre therapeutische Massnahme zur Behandlung von psychischen Krankheiten (Art. 59 StGB) keinen Erfolg verspricht. Abgrenzungskriterium bildet demnach die Therapierbarkeit der betroffenen Person.

Wird eine Person als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft, so kann als qualifizierte Form die lebenslängliche Verwahrung angeordnet werden (Art. 64 Abs. 1bis StGB). Gemäss Bundesgericht ist dies nur bei Personen möglich, die tatsächlich auf Lebzeiten keiner Behandlung zugänglich sind, also aufgrund der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse chronisch und für immer untherapierbar sind (BGE 140 IV 1). Im Unterschied zur ordentlichen Verwahrung muss hier zudem eine erneute Tatbegehung nicht nur ernsthaft, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Diese Regelung geht auf die Annahme der sog. Verwahrungsinitiative (Art. 123a BV) im Jahre 2004 zurück.

Eingriff in das Recht auf Freiheit

Der mit einer Verwahrung verbundene Freiheitsentzug greift erheblich in das Recht auf Freiheit der betroffenen Person ein (Art. 5 EMRK, Art. 9 UNO-Pakt II, Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV). Dieser Eingriff wiegt umso stärker, da die Dauer einer Verwahrung an keine Obergrenze gebunden ist und diese nicht wie eine Strafe durch das Verschuldensprinzip begrenzt ist.

Ein solcher Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn er sich auf eine gesetzliche Grundlage stützt, durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt ist und dem Prinzip der Verhältnismässigkeit genügt (vgl. Art. 36 BV). Darüber hinaus darf er in keinem Fall gegen das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung verstossen und hat die Menschenwürde zu achten (Art. 3 EMRK, Art. 7 UNO-Pakt II, Art. 10 Abs. 3 BV).

Diese Vorgaben sind in jedem Stadium einer Verwahrung zu berücksichtigen, also sowohl bei der Anordnung, während des Vollzuges als auch bei der Beendigung. So wird ein an sich rechtmässiger Freiheitsentzug etwa als „willkürlich“ und damit als Verletzung von Art. 5 EMRK eingestuft, wenn die Anordnung oder die Art des Freiheitsentzugs nicht dem damit verfolgten Zweck entspricht (vgl. EGMR, X. v. Finland, Beschwerde Nr. 34806/04, Ziff. 147). Das wäre etwa der Fall, wenn mit einer Verwahrung oder der Einweisung in eine psychiatrische Klinik beabsichtigt würde, einen Täter zu bestrafen.

Besondere Aufmerksamkeit ist jeweils auf die Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes zu legen, wonach ein im öffentlichen Interesse liegender Eingriff geeignet, erforderlich und zumutbar sein muss. Dieser bei staatlichem Handeln stets geltende Grundsatz wird bezüglich strafrechtlicher Massnahmen im schweizerischen Strafgesetzbuch nochmals besonders hervorgehoben, indem Art. 56 Abs. 2 StGB ausdrücklich bestimmt, dass „der mit ihr [einer Massnahme] verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig“ sein darf. Das öffentliche Interesse liegt bei einer Verwahrung in der Sicherung der Öffentlichkeit vor weiteren Delikten der betroffenen Person.

Im Folgenden werden exemplarische Problembereiche aufgezeigt, in welchen sich bei der Anordnung und Aufrechterhaltung sowie im Bereich des Vollzuges einer Verwahrung grund- und menschenrechtliche Fragen stellen.

Anordnung und Aufrechterhaltung der Verwahrung

Zulässige Haftgründe

Als zulässigen Haftgrund statuiert Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK einen Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht. Da diese Bestimmung auch Formen des Freiheitsentzuges umfasst, die wegen eines strafrechtlichen Tatbestandes zur Sicherung angeordnet werden, fällt die Verwahrung nach schweizerischem Recht darunter. Bei psychisch kranken Tätern oder Täterinnen kommt zudem auch lit. e Abs. 1 von Art. 5 EMRK (Freiheitsentzug bei psychisch Kranken) zum Zuge. Ist eine Person schuldunfähig und damit strafrechtlich nicht verantwortlich, kann sich ein Freiheitsentzug einzig auf diesen Haftgrund stützen.

Fällt der Haftgrund weg, ist also die Sicherung der Öffentlichkeit nicht mehr notwendig, da die betroffene Person nicht mehr als gefährlich eingestuft wird, ist die Verwahrung aufzuheben.

Periodische Überprüfung der Verwahrung

Verwahrte Personen haben Anspruch auf eine periodische Überprüfung der Verwahrungsgründe durch ein Gericht und auf Freilassung, wenn diese Gründe nicht mehr vorliegen (Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 9 Abs. 4 UNO-Pakt II). Im Rahmen dieser Prüfung ist festzustellen, ob sich die persönlichen Eigenschaften (wie etwa eine psychische Krankheit) oder allgemein die Gefährlichkeit der betroffenen Person in der Zwischenzeit verändert haben, so dass das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit das Freiheitsrecht des Einzelnen nicht mehr überwiegt und damit der Freiheitsentzug zum Schutz der Bevölkerung nicht mehr gerechtfertigt ist.

Während bei der ordentlichen Verwahrung eine jährliche Überprüfung ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist (Art. 64b StGB), steht die lebenslängliche Verwahrung in einem Spannungsverhältnis zum in Art. 5 Abs. 4 EMRK verankerten Anspruch auf gerichtliche Überprüfung des Freiheitsentzugs, da es an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung fehlt (Art. 64c Abs. 1 StGB) und eine Freilassung laut Verfassungstext (Art. 123a Abs. 2 BV) einzig bei Vorliegen „neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse“ möglich ist. Damit sind nicht nur Fortschritte und Durchbrüche bei den Therapiemethoden gemeint. Vielmehr müssen, wie der Bundesrat betont hat, darunter „alle neuen, durch methodisches Vorgehen erlangten Erkenntnisse betreffend die Therapierbarkeit des lebenslänglich verwahrten Täters“ verstanden werden, damit sich die lebenslängliche Verwahrung mit Art. 5 Abs. 4 EMRK vereinbaren lasse (Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezember 2002, Bundesblatt 2006, S. 907).

Reduzierbarkeit eines lebenslangen Freiheitsentzuges

Die Anordnung einer lebenslänglichen Verwahrung wirft auch in Hinblick auf Art. 3 EMRK Fragen auf. So ist gemäss der Rechtsprechung des EGMR ein lebenslanger Freiheitsentzug im Einzelfall nur mit Art. 3 EMRK konform, wenn dieser rechtlich (de jure) und tatsächlich (de facto) reduzierbar bleibt. Dafür muss für die betroffene Person sowohl die Möglichkeit einer Überprüfung unter Berücksichtigung ihres Verhaltens während des Freiheitsentzuges als auch die Aussicht auf eine (bedingte) Entlassung gegeben sein. Eine Verletzung von Art. 3 EMRK kann bereits im Zeitpunkt der Anordnung geltend gemacht werden, da die betroffene Person bereits dann wissen muss, unter welchen Bedingungen eine Entlassung grundsätzlich möglich wäre. Nur mit diesem Wissen kann sie ihr Verhalten entsprechend anpassen. Die Vereinbarkeit der lebenslänglichen Verwahrung mit diesen Vorgaben ist insbesondere aus zwei Gründen fraglich: Einerseits können persönliche Fortschritte in der Rehabilitation der verwahrten Person gemäss dem Wortlaut von Art. 64c StGB bei einem Entlassungsentscheid keine Berücksichtigung finden. Andererseits geht aus dem StGB nicht klar hervor, was die verwahrte Person machen müsste, damit sie direkt bedingt entlassen werden könnte (siehe zum Ganzen SKMR-Newsletter Nr. 10 vom 18.09.2013 zum EGMR-Urteil, Vinter and Others v. UK).

Nachträgliche Verwahrung

Der Grundsatz ne bis in idem (vgl. Art. 4 Zusatzprotokoll Nr. 7 zur EMRK) gebietet, dass niemand zweimal wegen derselben Sache verurteilt werden darf. Nicht ausgeschlossen ist, dass ein Verfahren wieder aufgenommen wird, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das Verfahren schwere Mängel aufwies. Diese Möglichkeit ist in Art. 65 Abs. 2 StGB vorgesehen.

Damit eine Verwahrung rechtmässig i.S.v. Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK ist, muss zwischen der Verurteilung und dem Freiheitsentzug ein Kausalzusammenhang bestehen. Dies bedeutet, dass eine nachträgliche Verwahrung nur dann zulässig ist, wenn im Strafurteil eine solche vorbehalten wurde oder gesetzlich die Umwandlung einer anderen Massnahme in eine Verwahrung vorgesehen ist (so z.B. in Art. 62c Abs. 4 StGB). Nicht zulässig wäre demnach eine „echte“ nachträgliche Verwahrung, die in einem neuen Verfahren verhängt würde, da sich die betroffene Person während eines Strafvollzuges als gefährlich erwiesen hat.

Ebenfalls zu berücksichtigen ist das Rückwirkungsverbot, wonach niemand wegen einer „Handlung oder Unterlassung verurteilt werden [darf], die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war [und] (…) auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden“ darf (vgl. Art. 7 i.V.m. Art. 15 EMRK). Der EGMR legt den Begriff „Strafe“ i.S.v. Art. 7 EMRK autonom aus: Ausgangspunkt ist, ob die fragliche Massnahme im Nachgang zur Verurteilung eines Deliktes verhängt wurde. Der Bundesrat geht gestützt darauf davon aus, dass die Verwahrung eines Täters, der vor Inkrafttreten des revidierten StGB im Jahr 2007 ein Delikt begangen hat, nur möglich ist, wenn die Voraussetzungen der davor geltenden Art. 42 und 43 StGB bestanden haben (Botschaft vom 29. Juni 2005 zur Änderung des Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezember 2002 und des Militärstrafgesetzes in der Fassung vom 21. März 2003, Bundesblatt 2005, S. 4716).

Die Frage der Anordnung einer nachträglichen Verwahrung könnte sich z.B. stellen, wenn eine inhaftierte Person während des Strafvollzuges aufgrund einer psychischen Erkrankung eine Gefährlichkeit entwickelt und es deshalb aus Sicherheitsgründen angezeigt sein könnte, sie im Anschluss an die Freiheitsstrafe zu verwahren.

Ausgestaltung des Vollzuges der Verwahrung

Während des Vollzuges der Verwahrung gilt es einen Ausgleich zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit der Öffentlichkeit und den Rechten des Einzelnen zu finden. Ausgangspunkt ist die Maxime, dass die Rechte einer inhaftierten Person nur in dem Umfang beschränkt werden dürfen, als es zur Gewährleistung des Haftzweckes erforderlich ist oder es das Zusammenleben in einer Hafteinrichtung erfordert (vgl. BGE 122 I 222, E. 2a/aa, S. 225 f.; auch z.B. Ziff. 3 Europäische Strafvollzugsgrundsätze und Art. 75 StGB). Der primäre Haftzweck der Verwahrung liegt in der Sicherung der Öffentlichkeit vor weiteren Delikten der inhaftierten Person. Im Gegensatz zu einer Strafe dient sie nicht der Vergeltung eines begangenen Deliktes, sondern vorbeugend der Verhinderung zukünftiger Straftaten. Diesem Haftzweck kann an sich allein durch den Entzug der Freiheit Genüge getan werden.

Grosszügigere Haftmodalitäten?

Das deutsche Bundesverfassungsgericht fordert deshalb etwa, dass über „den unabdingbaren Entzug der ‚äusseren‘ Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden“ sollen und dem besonderen Charakter der Verwahrung „durch einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug Rechnung getragen werden [muss], der den allein präventiven Charakter der Massregel sowohl gegenüber dem Untergebrachten als auch gegenüber der Allgemeinheit deutlich macht“ (BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 4.5.2011, Leitsatz 3b). Darüber hinaus leitet das Bundesverfassungsgericht aus der unterschiedlichen Zweckausrichtung von Strafen und Massnahmen die Forderung ab, dass sich der Vollzug der Sicherungsverwahrung in seiner Ausgestaltung deutlich vom Strafvollzug zu unterscheiden hat, d.h. hinsichtlich der Unterkunft und der übrigen Haftmodalitäten deutlich grosszügiger ausgestaltet sein muss. Ähnliches fordert auch der Menschenrechtsausschuss (MRA, Entwurf General Comment Nr. 35, Ziff. 21).

Solche Forderungen wurden in der Schweiz bisher kaum diskutiert und können an dieser Stelle nur ansatzweise aufgegriffen werden. Die Forderung nach einem freiheitsorientierten Vollzug lässt sich durchaus aus dem auch in der Schweiz geltenden Resozialisierungsgrundsatz ableiten. Inwiefern ein therapiegerichteter Vollzug Umsetzung finden sollte, ist hingegen fraglich, da bei einer Verwahrung gerade von der Untherapierbarkeit der betroffenen Person ausgegangen wird.

Einer eingehenden Diskussion bedürfte die Vorgabe, dass sich der Vollzug der Verwahrung aufgrund der unterschiedlichen Zweckausrichtung deutlich vom Vollzug einer Strafe zu unterscheiden hat, die sich auf die Begründung stützt, dass die Verwahrung nicht der Vergeltung diene. Denn dies könnte suggerieren, dass nicht nur die Verhängung einer Strafe, sondern auch deren Vollzug ein bestrafendes Element aufweisen sollte. Doch soll nicht auch der Strafvollzug darauf abzielen, der inhaftierten Person ein zukünftiges straffreies Leben zu ermöglichen? Wie müsste dann der bei einer schuldfähigen Person der Verwahrung vorausgehende Strafvollzug ausgestaltet sein?

Aus menschenrechtlicher Sicht lassen sich solche Forderungen allenfalls aus dem Verhältnismässigkeitsprinzip herleiten – und dies ohne Bezug auf den Strafvollzug. Denn je länger ein Freiheitsentzug dauert – aufgrund der fehlenden Obergrenze kann dies bei der Verwahrung sehr lange sein – umso schwieriger ist es, den Eingriff in die Rechte des Einzelnen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit zu rechtfertigen. Nebst der Dauer des Freiheitsentzuges ist für die Beurteilung der Schwere des Eingriffes in die Freiheitsrechte der betroffenen Person auch die Ausgestaltung des Vollzuges zu berücksichtigen. Somit kann u.U. also ein lockereres Haftregime die Schwere des Eingriffes abschwächen.

Ältere Personen in der Verwahrung

Aufgrund der nicht begrenzten Dauer einer Verwahrung und da im heutigen Umfeld aus Sicherheitsgründen verwahrte Personen kaum mehr entlassen werden, befinden sich immer mehr ältere Personen in einer solchen Massnahme. Bei dieser Gruppe von Verwahrten stellen sich besondere Herausforderungen, so etwa in Bezug auf die medizinische Betreuung oder auch den Umgang dieser Personen mit einer möglichen Perspektivenlosigkeit. Auch Fragen zu einem menschenwürdigen Sterben können sich hier vermehrt stellen.

Ein weiterer Aspekt, welcher ältere Verwahrte betreffen kann, ist die in der Schweiz während eines Freiheitsentzuges bestehende Arbeitspflicht. Eine solche Pflicht verstösst grundsätzlich nicht gegen das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit gemäss Art. 4 Abs. 2 EMRK.

Eine Befreiung von dieser Pflicht erfolgt, wenn die Arbeitsfähigkeit z.B. aufgrund einer physischen Beschwerde eingeschränkt ist (vgl. Art. 90 Abs. 3 i.V.m. Art. 81 Abs. 1 StGB). Das Bundesgericht hat aber festgehalten, dass die Arbeitspflicht bei einem Verwahrten im Pensionsalter weiterhin besteht (BGE 139 I 180). Es begründet dies u.a. damit, dass dies geeignet, erforderlich und grundsätzlich zumutbar ist, um Vollzugsgrundsätze wie die Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung, die Vermeidung von Haftschäden und die Strukturierung des Haftalltags zu gewährleisten. Keine Berücksichtigung fand in der Argumentation des Bundesgerichtes allerdings das ebenfalls für den Vollzug massgebende Äquivalenzprinzip (z.B. Art. 75 Abs. 1 StGB), wonach der „Strafvollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich zu entsprechen“ hat. Ausserhalb des Freiheitsentzuges müsste der Betroffene namentlich fähig sein, seinen Alltag nach Erreichung des Pensionsalters selbständig ohne Arbeitsbeschäftigung zu gestalten. Es stellt sich zudem die Frage, ob z.B. die erwähnte Strukturierung des Tagesablaufes nicht auch durch eine obligatorische frei wählbare Beschäftigung möglich wäre (siehe dazu auch SKMR-NL Nr. 10 vom 18.09.2013 zur Arbeitspflicht von Inhaftierten im Rentenalter). Der betroffene Verwahrte hat den Entscheid des Bundesgerichtes an den EGMR weitergezogen, bei welchem die Beschwerde nun hängig ist.

Vollzugsöffnungen

Eine verwahrte Person wurde aufgrund ihrer Gefährlichkeit zu dieser Massnahme verurteilt. Nichtsdestotrotz stellt sich auch hier die Frage, inwiefern Vollzugsöffnungen z.B. in Form von begleiteten Hafturlauben zu gewähren sind. Denn auch im Falle einer Verwahrung herrscht der Resozialisierungsgedanke vor und zumindest bei der ordentlichen Verwahrung wird davon ausgegangen, dass die verwahrte Person irgendwann wieder entlassen werden könnte. Um insbesondere bei der Überprüfung der ordentlichen Verwahrung feststellen zu können, ob die Gefährlichkeit der verwahrten Person weiterhin besteht, und eine entsprechende Prognose zu stellen, können Erfahrungen, welche im Rahmen von Vollzugsöffnungen gewonnen werden, wichtige Anhaltspunkte geben. Denn nur wenn gewisse Vollzugsöffnungen zugelassen werden, hat eine verwahrte Person überhaupt die Möglichkeit zu zeigen, dass sie sich in Freiheit bewähren könnte. Dies bedeutet nicht, dass Vollzugsöffnungen immer zu gewähren sind; Sicherheitsbedürfnissen soll weiterhin Rechnung getragen werden können. Jedoch sollten Vollzugsöffnungen nicht pauschal für alle verwahrten Personen ausgeschlossen werden, sondern im Einzelfall gewährt werden.

Fraglich ist darüber hinaus, inwiefern auch bei lebenslänglich verwahrten Personen gewisse Vollzugsöffnungen möglich sein sollten. Denn – wie oben ausgeführt – hält eine lebenslängliche Verwahrung nur vor Art. 3 EMRK stand, wenn eine Überprüfung möglich ist, bei welcher auch persönliche Fortschritte der inhaftierten Person berücksichtigt werden. Dies bedeutet jedoch, dass der betroffenen Person überhaupt die Gelegenheit gegeben werden muss, ihr Verhalten zu verändern. Dies wäre u.a. im Rahmen von Vollzugsöffnungen möglich.

Vollzugsort bei psychisch Kranken

Bei schuldunfähigen Tätern, die zu einer Verwahrung verurteilt werden, kommt als zulässiger Haftgrund nur ein Freiheitsentzug gestützt auf Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK in Frage. Ein solcher ist nach der Rechtsprechung des EGMR nur rechtmässig, wenn zwischen dem Grund und den Bedingungen der Haft ein angemessenes Verhältnis besteht (siehe z.B. EGMR-Urteil, Hutchison Reid v. UK, Ziff. 48 f.). Erfolgt also die Anordnung der Verwahrung gestützt auf eine psychische Krankheit der Täterin oder des Täters, ist die betroffene Person in einer Klinik oder einer ähnlichen Einrichtung unterzubringen.

Entsprechende ähnliche Forderungen finden sich in Bezug auf alle psychisch Kranken – und damit auch zu psychisch kranken Verwahrten – in verschiedenen Empfehlungen von Organen internationaler Organisationen. Diese sehen vor, dass inhaftierte Personen mit einer psychischen Krankheit in einer allgemeinen psychiatrischen Klinik oder zumindest in einer Einrichtung innerhalb des Justizvollzugssystems untergebracht werden sollten, die über eine angemessene Ausstattung und qualifiziertes Personal verfügt (z.B. Ziff. 12.1 und 47.1 Europäische Strafvollzugsgrundsätze).

Diese Vorgaben stehen in einem gewissen Spannungsverhältnissen zu den Bestimmungen des Strafgesetzbuches, da darin als mögliche Vollzugsorte sowohl eine Massnahmenvollzugseinrichtung als auch eine normale geschlossene Strafanstalt vorgesehen sind und eine psychiatrische Betreuung nur erfolgt, sofern diese notwendig ist (Art. 64 Abs. 4 StGB).

Schlussbemerkungen

In Zusammenhang mit der Massnahme der Verwahrung stellen sich zahlreiche heikle menschenrechtliche Fragestellungen. Eine Diskussion darüber sollte in der Schweiz trotz des gegenwärtigen, primär auf Sicherheitsüberlegungen und Sühne fokussierten politischen Umfelds geführt werden. Namentlich tut die Klärung der Fragen not, wie etwa die Haftmodalitäten der Verwahrung generell auszugestalten sind, wie mit der stetig grösser werdenden Gruppe von älteren verwahrten Personen und mit psychisch Kranken umgegangen werden soll und unter welchen Voraussetzungen Hafterleichterungen zu gewähren sind.

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