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Nationale Kommission zur Verhütung von Folter berichtet über ihre ersten Gefängnisbesuche
Bedeutung für die Praxis:
- Direkt relevant für die Kantone Bern und Wallis
- Zur Information für andere Kantone
Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) ist eine behördenunabhängige Kommission, die im Jahr 2010 eingesetzt wurde. Trotz ihres möglicherweise missverständlichen Namens beschränkt sich ihre Aufgabe nicht darin, Folterhandlungen vorzubeugen. Vielmehr soll sie in Zusammenarbeit mit den Behörden einen allgemein rechtskonformen Umgang mit Personen im Freiheitsentzug sicherstellen und damit auch Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe vorbeugen. Zu diesem Zweck gewährt ihr das Bundesgesetz über die Kommission zur Verhütung der Folter die Kompetenz, regelmässig und auch ohne Voranmeldung Orte des Freiheitsentzugs besuchen zu können.
Isolationshaft und erniedrigende Leibesvisitationen
Zu Beginn dieses Jahres veröffentlichte die NKVF ihre ersten Berichte über ihre Besuche in Haftanstalten in den Kantonen Wallis und Bern. Im Bericht zu Hindelbank kritisierte die NKVF allgemein die alte und zum Teil enge Gefängnisinfrastruktur. Viele ihrer Empfehlungen betreffen aber die Situation von Insassinnen im Hochsicherheitstrakt. Sie legen der Anstaltsleitung insbesondere nahe, das räumliche Angebot zur Betreuung von Insassinnen auszubauen und die Sicherheit vermehrt mittels personellen statt mit technischen Massnahmen zu gewährleisten. Im Bericht zum Untersuchungsgefängnis und zum Polizeiposten Brig gelangte die Kommission zum Schluss einer erniedrigenden Behandlung, weil alle Inhaftierten systematisch einer intimen Leibesvisitation unterzogen werden. Zudem sei es entwürdigend, wenn Inhaftierte mit Handschellen gefesselt über bevölkerte Plätze geführt würden.
Kritik am Haftregime der Ausschaffungshaft
Ausschaffungshäftlinge haben keine strafrechtlichen Delikte begangen und dürfen daher nicht Haftbedingungen wie in Untersuchungshaft oder Strafgefangenschaft unterworfen werden. Deshalb monierte die Kommission die ausgeprägte Gefängnisinfrastruktur der Anstalt in Grange. Die NKVF empfiehlt Massnahmen zur Lockerung der Haftbedingungen sowie des Gefängnischarakters der Hafteinrichtung (mehr Raum für freie Bewegung, Ausbau der sanitären Anlagen, etc.).
Reaktion der betroffenen Kantone
Beide Kantonsregierungen nahmen zu den Empfehlungen Stellung. Der Kanton Bern macht auf das „ständige Dilemma zwischen dem vollzugrechtlich, baulich, personell und finanziell Machbaren und den Erwartungen, Wünschen und Bedürfnissen der einweisenden Behörden (…)“ aufmerksam. Zu den infrastrukturellen Problemen führt der Regierungsrat aus, die Lage werde sich durch den bevorstehenden Neubau verbessern. Der Kanton Wallis erwähnt demgegenüber konkrete Massnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen. Bereits die Reaktionen zu diesen ersten Besuchsberichten zeigen somit, dass der Besuchsmechanismus konkrete und praktische Auswirkungen zeitigen kann. Die Berichte sind nicht als pauschale Kritik an den Verantwortlichen zu verstehen, sondern als konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Schweizer Anstalten des Freiheitsentzugs. Der deutliche Fokus der Berichte auf infrastrukturbedingte Problembereiche illustriert zudem, dass die Kommission gewillt ist, auch die politischen Entscheidungsträger in die Pflicht zu nehmen.
Weites Arbeitsfeld der Kommission
Die NKVF ist nicht nur berechtigt, die klassischen Institutionen des Freiheitsentzuges zu inspizieren. Das Gesetz gibt ihr nämlich die Befugnis, alle Orte des Freiheitsentzuges zu besuchen. Als solcher gilt „jede Form des Festhaltens oder der Inhaftierung einer Person oder deren Unterbringung in einer öffentlichen oder privaten Einrichtung, die sie nicht nach Belieben verlassen darf, sofern dies auf Anordnung oder Veranlassung einer Behörde oder im Einverständnis mit einer Behörde geschieht“. Damit hat die NKVF die Kompetenz, neben Hafteinrichtungen auch psychiatrische Kliniken, Institutionen für Demenzkranke, Heime für Kinder und Erwachsene mit körperlichen oder geistigen Behinderungen sowie auch Empfangszentren im Asylbereich zu überprüfen oder sog. Ausschaffungsflüge zu begleiten. Nicht nur angesichts jüngster Presseberichte über Missbräuche in Behindertenheimen bleibt zu hoffen, dass die Kommission trotz ihrer finanziell und personell beschränkten Ressourcen auch hier einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit setzt. Denn anders als im Gefängniskontext geht es hier nicht um die Überwachung an sich weitgehend unbestrittener Rechtsstandards, sondern es fehlen weitgehend institutionsspezifische Vorgaben für einen menschenrechtskonformen Umgang mit Menschen, die – ohne ihre Zustimmung oder gar gegen ihren Willen, d.h. nicht freiwillig, – in solchen Einrichtungen leben.