Artikel
Fristen zwischen Festnahme und Haftentscheid
Erste Leiturteile des Bundesgerichts zum Beschleunigungsgebot nach der neuen Strafprozessordnung
Abstract
Autorin: Eveylne Sturm
Bedeutung für die Praxis:
- Information
- Die Verletzung der Fristen in Art. 219 Abs. 4 StPO und Art. 224 Abs. 2 StPO führt nicht zur Gesetzeswidrigkeit der Haft. Ausschlaggebend ist die Gesamtfrist zwischen der Festnahme und dem Haftentscheid.
- Die Maximalfrist von 96 Stunden darf nicht routinemässig, sondern nur in begründeten Einzelfällen ausgeschöpft werden.
Mit der anfangs 2011 in Kraft getretenen eidgenössischen Strafprozessordnung (StPO) sind für das Verfahren zwischen der Festnahme und dem Haftentscheid schweizweit einheitliche Fristen festgelegt worden. Danach hat die Staatsanwaltschaft nach der Festnahme innert 48 Stunden ihren Haftantrag beim Zwangsmassnahmengericht einzureichen (Art. 224 Abs. 2 StPO). Das Zwangsmassnahmegericht hat über den Antrag unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden zu entscheiden (Art. 226 Abs. 1 StPO).
Fristen bis zum Haftentscheid
Das Bundesgericht hat in einem kürzlich publizierten Urteil festgehalten (Urteil vom 5. Mai 2011, IB_153/2011), diese Fristen stellten eine Konkretisierung des in Art. 31 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK gewährten Anspruchs auf einen unverzüglichen richterlichen Entscheid (sog. Beschleunigungsgebot) dar. Es handelt sich somit nicht um blosse Ordnungsfristen, aus deren Überschreitung Betroffene nichts zu ihren Gunsten ableiten könnten.
Allerdings erachtet das Bundesgericht nur die Einhaltung der Zeitspanne insgesamt, d.h. von der Festnahme bis zum Haftentscheid, für massgebend. Eine gesetzeswidrige Aufrechterhaltung der Haft liegt damit erst vor, wenn der Haftentscheid der betroffenen Person nicht innert 96 Stunden nach der Festnahme eröffnet wird.
Demgegenüber handelt es sich bei der für die Staatsanwaltschaft vorgesehenen 48-Stunden-Frist zur Einreichung des Haftantrages beim Zwangsmassnahmegericht um eine untergeordnete, in erster Linie die Strafverfolgungsbehörden betreffende Frist. Im konkreten Fall führte dies zur Abweisung der Beschwerde, weil die Staatsanwaltschaft zwar die 48-Stunden-Frist überschritten hatte, der Haftentscheid 86 Stunden nach der Festnahme und damit noch innerhalb der gesetzlichen Maximalfrist erging. Das Bundesgericht wies jedoch „mit Nachdruck“ darauf hin, dass aufgrund des Beschleunigungsgebots die gesetzlichen Maximalfristen im Normalfall weit unterschritten werden müssen und höchstens in begründeten Einzelfällen ausgeschöpft werden dürfen.
Bestätigt hat das Bundesgericht (Urteil vom 17. Mai 2011, IB_173/2011) diese Rechtsprechung auch für die in Art. 219 Abs. 4 StPO vorgesehene Frist, welche der Polizei vorgibt, eine festgehalte Personen innert 24 Stunden entweder zu entlassen oder der Staatsanwaltschaft zuzuführen. Eine Verletzung dieser Frist führt somit ebenfalls nicht zur Gesetzwidrigkeit der Festhaltung, wenn der spätere Haftentscheid des Zwangsmassnahmegerichts innerhalb von 96 Stunden erfolgt.
Befristung der Sicherheitshaft
Ausserdem hat das Bundesgericht jüngst entschieden (Urteil vom 1. Juni 2011, 1B_222/2011), dass das Zwangsmassnahmegericht die Sicherheitshaft in jedem Fall zu befristen hat, unabhängig davon, ob zuvor Untersuchungshaft angeordnet wurde oder nicht. Die Befristung kann maximal drei Monate (in Ausnahmefällen sechs Monate) betragen, eine weitere Verlängerung ist zwar möglich, unterliegt indessen der Überprüfung.