Artikel

Anspruch auf gerichtliche Beurteilung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten auch für Botschaftsangestellte

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Urteil Sabeh el Leil v. Frankreich (Beschwerde Nr. 34869/05)

Abstract

Autorin: Evelyne Sturm

Publiziert am 26.10.2011

Bedeutung für die Praxis:

  • Angestellte ausländischer Vertretungen, die nicht dessen Staatsangehörige sind und keine hoheitlichen Funktionen ausüben, haben Anspruch auf Beurteilung ihrer arbeitsrechtlichen Streitigkeiten durch ein Gericht.
  • Die Berufung auf die Staatenimmunität führt zu einer unverhältnismässigen Einschränkung von Art. 6 Abs. 1 EMRK.
  • Das Urteil steht grundsätzlich in Übereinstimmung mit der Praxis des Bundesgerichts zur Staatenimmunität (z.B. BGE 120 II 400), wonach Botschaftspersonal mit subalternen Tätigkeiten, das nicht die Staatsangehörigkeit des ausländischen Staates besitzt, keine Immunität besitzt, dehnt aber den Begriff der «subalternen» Tätigkeit möglicherweise auf höhere Verwaltungsfunktionen aus.

Das Nichteintreten auf eine Klage eines ehemaligen Angestellten der kuwaitischen Botschaft in Paris gegen seine Entlassung stellt eine Verletzung des Anspruchs auf gerichtliche Beurteilung gemäss Art. 6 Abs. 1 EMRK dar. Der EGMR hiess im Urteil Sabeh el Leil gegen Frankreich (Beschwerde Nr. 34869/05) eine Beschwerde eines französischen Staatsangehörigen gut, der nach 20 Jahren Tätigkeit als Buchhalter der Botschaft entlassen wurde und auf dessen Schadenersatzklage das letztinstanzliche französische Gericht unter Hinweis auf die Immunität Kuwaits nicht eintrat.

Unverhältnissmässige Einschränkung des Anspruchs auf gerichtliche Beurteilung

Wie bereits in Cudak gegen Litauen (Beschwerde Nr. 1586/02) bestätigt der EGMR erneut, dass Botschaftspersonal, das nicht die Staatsgehörigkeit des ausländischen Staates besitzt und keine hoheitlichen Aufgaben erfüllt, die gerichtliche Beurteilung zivilrechtlicher Streitigkeiten nicht mit der Begründung auf die Staatenimmunität versagt werden darf. In seiner Begründung verweist der EGMR auf Art. 11 des UNO-Übereinkommens über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit, welcher Gewohnheitsrecht kodifiziert und die Immunität zwischen Staaten und Angestellten diplomatischer Missionen vorbehaltlich gewisser – weitreichender – im Übereinkommen abschliessend aufgezählten Ausnahmen ausschliesst. Der Beschwerdeführer, der weder Staatsangehöriger Kuwaits noch als Buchhalter diplomatischer oder konsularischer Angestellter war, fiel unter keine dieser Ausnahmen. Die Abweisung seiner Klage ohne hinreichenden Grund stellte damit eine unverhältnismässige Einschränkung seines Anspruchs auf Zugang zu einem Gericht dar.

Wiedergutmachung

Bemerkenswert ist die für den EGMR verhältnismässig hohe Wiedergutmachungssumme von 60'000 Euro, die der Gerichtshof Frankreich auferlegte. Obschon der Gerichtshof betont, der wiedergutzumachende Schaden betreffe einzig die Beschränkung des Anspruchs auf gerichtliche Beurteilung und der Ausgang eines solchen Verfahrens sei ungewiss, wurden bei der Wiedergutmachung dennoch auch die tatsächlich entgangenen Chancen berücksichtigt.

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