Bilanzbericht
Geschlechterpolitik und Menschenrechte in der Schweiz
Abstract
Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung ist in internationalen Menschenrechtsverträgen und in der Bundesverfassung verboten. Trotz einiger Verbesserungen setzt die Schweiz ihre diesbezüglichen Verpflichtungen nach wie vor unzureichend um. Das SKMR konnte einige Verbesserungen einleiten.
Weitreichende Verpflichtungen aus Menschenrechten
Diskriminierung ist im nationalen und internationalen Recht grundsätzlich verboten. Das Diskriminierungsverbot gilt für alle Menschen, unabhängig u.a. von Geschlecht, Sprache, Religion, «Rassifizierung»1, der politischen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität, des Alters, des Gesundheitszustands oder des aufenthaltsrechtlichen Status. Spezifisch gegen die Diskriminierung wegen des Geschlechts oder wegen der sexuellen Orientierung schützen unter anderem die UNO-Frauenrechtskonvention CEDAW, die Istanbul-Konvention, die Europäische Menschenrechtskonvention, die UNO-Pakte I und II sowie die Kinderrechtskonvention.
Die Schweiz hat alle diese einschlägigen Menschenrechtsverträge ratifiziert. Sie ist somit verpflichtet, in der Gesetzgebung und in ihren Verwaltungshandlungen nicht zu diskriminieren, ausserdem muss sie Menschen vor Gewalt und Diskriminierung schützen.
Defizite bei der Umsetzung
Die zuständigen internationalen Organe stellen bei der Schweiz dennoch regelmässig Defizite bei der Umsetzung dieser Verpflichtungen fest, so bspw. beim Schutz vor geschlechtsbasierter und sexualisierter Gewalt, vor Diskriminierung am Arbeitsplatz, vor geschlechtsspezifischer Verfolgung, vor Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität und/oder der sexuellen Orientierung genauso wie im Bildungsbereich, im Migrationskontext, im öffentlichen Raum, oder beim Recht auf Zugang zur Justiz.
Der Themenbereich Geschlechterpolitik hat sich in den letzten elf Jahren mit der Umsetzung von menschenrechtlichen Verpflichtungen in der Schweiz auseinandergesetzt und in unterschiedlichen Bereichen Verletzungen und damit einhergehend grossen Handlungsbedarf festgestellt. Dabei verfolgte der Themenbereich oftmals einen interdisziplinären Ansatz und verknüpfte in den Analysen rechtswissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Vorgehensweisen.
Ausgewählte Studien, die diese Defizite ausloten
Der Themenbereich hat zahlreiche Studien verfasst, welche die Defizite der Umsetzung in der Schweiz im Detail erforschen und jeweils Handlungsoptionen aufzeigen. Hier einige ausgewählte Resultate im Überblick:
- Zugang zur Justiz: Einen speziellen Fokus legte der Themenbereich auf die hohen Hürden beim Zugang von Frauen zur Justiz. Diese oft spezifischen und komplexen Hürden resultieren u.a. aus gesellschaftlicher und ökonomischer Benachteiligung, sexistischen Vorurteilen und Geschlechterstereotypen.
- Frauen im öffentlichen Raum: Verschiedene grund- und menschenrechtliche Bestimmungen verpflichten die Schweiz dazu, Frauen eine gleichberechtigte und sichere Nutzung des öffentlichen Raums zu gewährleisten. Die Resultate der Studie zeigen, dass Frauen den öffentlichen Raum nicht gleichberechtigt, sicher und diskriminierungsfrei nutzen können.
- Schutz vor sexualisierter Belästigung am Arbeitsplatz: Sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz ist weit verbreitet – sie reicht von sexistischen Sprüchen bis hin zu sexualisierter körperlicher Gewalt. Aus den Grundrechten, den internationalen Menschenrechtsabkommen und dem internationalen Arbeitsrecht ergeben sich verschiedene staatliche Verpflichtungen zu ihrer Bekämpfung. Diese werden in der Kurzstudie des SKMR untersucht und eingeordnet.
- Die Rechte von LGBTIQ+ Personen in der Schweiz: Sowohl die Diskriminierungsstudie (2015) als auch die Studie zur institutionellen Verankerung von LGBTIQ+ Themen (2014) zeigten auf, dass zum Zeitpunkt der Studien noch sehr wenig spezifische Rechtsnormen zum Schutz von LGBTIQ+ Personen existierten und in diesem Bereich weiterhin zentrale Lücken bestehen. Zwar hat es in den vergangenen Jahren auch positive Entwicklungen gegeben, es besteht aber weiterhin grosser Handlungsbedarf. So wurde im Jahr 2020 beispielsweise die Antirassismus-Strafnorm dahingegen erweitert, dass nun auch diskriminierende Äusserungen und Handlungen aufgrund der sexuellen Orientierung gesetzlich verboten sind. Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität wurde dabei aber nicht ins Gesetz aufgenommen.
- Bedeutung von Datenerhebung: Für die Bekämpfung von (Mehrfach-)Diskriminierung von LGBTIQ+ Personen wiederum bedarf es auch Daten, u.a. zum Vorkommen der Diskriminierungserfahrungen. Wie eine Studie zur Mehrfachdiskriminierung von LGBTIQ+ Personen zeigt, benötigt es dafür einen Ausbau bestehender Datenquellen sowie neue Forschungsansätze.
Grosser Handlungsbedarf beim Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt
Ein Aspekt der menschenrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz ist der Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Dazu gehören gemäss der Istanbul-Konvention unter anderem physische, psychische und sexualisierte Gewalt, aber beispielsweise auch Gewalt, die wirtschaftlichen Schaden für Frauen zur Folge hat. Zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt gehören nebst der wirksamen Strafverfolgung auch die Prävention sowie der Schutz und die rechtliche, finanzielle und psychologische Unterstützung von Betroffenen.
Der Themenbereich hat zu zwei Aspekten geschlechtsspezifischer Gewalt geforscht und konnte in beiden etwas bewegen. Eine Studie zur Situation von Frauen im Asylbereich stellte viele strukturelle Probleme fest. Beispielsweise werden gewaltbetroffene Mädchen und Frauen oft gar nicht als solche erkannt, und somit werden sie auch nicht bedarfsgerecht behandelt und unterstützt. Die Ergebnisse dieser Studie wurden von der Praxis breit aufgegriffen.
Auch zur weiblichen Genitalverstümmelung (FGM/C) in der Schweiz hat der Themenbereich eine Studie verfasst und später massgeblich zum Auf- und Ausbau der Website des «Netzwerks gegen Mädchenbeschneidung» beigetragen. Die Webseite bietet Betroffenen und Fachpersonen umfangreiche Informationen sowie den Zugang zu Unterstützungsangeboten und die Möglichkeit zur Vernetzung.
Frauenrechte in der App: Überblick dank SKMR
Neben den Forschungsarbeiten hat der Themenbereich auch eine Reihe von Projekten im Bereich Wissenstransfer erarbeitet, die bei der besseren Umsetzung der Menschenrechte in diesem Bereich nützliche Dienste leisten. Ein Grundlagenwerk ist die Women’s Human Rights App, die der Themenbereich zusammen mit dem Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) 2013 entwickelt und etabliert hat.
Sie bietet eine Übersicht über die wichtigsten Menschenrechts-Texte. Die Datenbank kann mithilfe von vordefinierten Suchbegriffen einfach und zielführend durchsucht werden und trug zu einer längerfristigen Verankerung der Thematik beim EDA bei. Die App wurde 2021 aktualisiert und wird auch nach dem Ende des SKMR zur Verfügung stehen.
Datenbank zur Gleichstellung in der Arbeitswelt
Der Themenbereich beschäftigte sich ferner mit Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. So erstellte er im Auftrag der Deutschschweizer Fachstellen für Gleichstellung eine Online-Datenbank, in der Gerichtsentscheide zu verschiedenen Aspekten der Diskriminierung aufbereitet und zugänglich gemacht sind. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Diskriminierung in der Erwerbstätigkeit, die im schweizerischen Arbeitsmarkt nach wie vor weitverbreitet ist und weitreichende Konsequenzen für die berufliche Entwicklung von Frauen hat.
Ausblick
Grundsätzlich besteht in allen Bereichen, zu denen der Bereich Geschlechterpolitik in den vergangenen Jahren geforscht und publiziert hat, weiterhin grosser Handlungsbedarf – dies zeigt sich unter anderem im Feld «Zugang zur Justiz», bei den Rechten von Migrant*innen sowie der Gleichstellung von LGBTIQ+ Personen in der Schweiz. Defizite bestehen dabei konkret auch hinsichtlich der Umsetzung zentraler menschenrechtlicher Bestimmungen wie der CEDAW oder der Istanbul-Konvention. Die künftige NMRI hat zudem die Möglichkeit, im Bereich Geschlechterpolitik neue Schwerpunkte zu setzen. Beispielsweise könnte sie im Bereich Digitalisierung und Geschlecht das Thema Diskriminierung durch Systeme und Algorithmen angehen oder Diskriminierung und Gewalt im Zusammenhang mit Social Media thematisieren.
Die Arbeit des Themenbereichs zeigt, dass Diskriminierung oftmals die Folge einer komplexen Verflechtung von unterschiedlichen sozialen, strukturellen und institutionellen Ausschlussmechanismen und von Stereotypisierungen ist. Sowohl in der Forschung als auch in der Umsetzung des menschenrechtlichen Schutzes gilt es, diese verflochtenen Perspektiven vermehrt in den Blick zu nehmen und dadurch besonders vulnerable Personen zu schützen und zu unterstützen.
Ausgewählte Publikationen des Themenbereichs Geschlechterpolitik
Institutionelle Verankerung von LGBTI-Themen in der Schweiz, 2014
Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen, 2015 (Update 2020)
Unterbringung, medizinische Versorgung und Unterstützung von Frauen aus dem Asylbereich, 2019
Weniger Frauen als Männer vor Bundesgericht, 2019
Frauen im öffentlichen Raum, 2022
Fussnoten
- 1 «Rassifizierung» bezeichnet «einen Prozess und eine Struktur, in denen Menschen nach rassistischen Merkmalen […] kategorisiert, stereotypisiert und hierarchisiert werden. […] Während «Rasse» im deutschen Sprachgebrauch vor allem mit dem Nationalsozialismus und vermeintlich natürlichen Menschenkategorien in Verbindung gebracht werden, betont das Wort Rassialisierung / Rassifizierung, dass es sich um konstruierte Kategorien handelt, die reale Effekte (Rassismus) haben.» Quelle: Bla.sh: Sprachmächtig. Glossar gegen Rassismus. Zurück