Bilanzbericht

Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen: Im Prinzip ja, aber...

Abstract

Wie steht es um die Kinderrechte in der Schweiz? Können Kinder und Jugendliche ihr Recht auf Partizipation wahrnehmen? Das SKMR hat sich in den vergangenen elf Jahren schwerpunktmässig für die Verwirklichung einer kinderfreundlichen Justiz eingesetzt.

Publiziert am 22.10.2022

Die Grundlagen: UNO-Kinderrechtskonvention und Leitlinien des Europarats

Seit seiner Gründung hat der Themenbereich Kinder- und Jugendpolitik die Kinderrechte als integralen Teil der Menschenrechte untersucht und gefördert. Im Vordergrund stehen dabei die Inhalte der UNO-Kinderrechtskonvention (UNO-KRK), welche die Schweiz 1997 ratifiziert hat. Eine weitere Grundlage bilden die Leitlinien des Europarats für ein kindgerechtes Verfahren (Child-friendly Justice) von 2010. Sie regeln unter anderem den Schutz des Privat- und Familienlebens, Prävention, Ausbildung von Fachpersonen, Zugang zum Gericht und zu Gerichtsverfahren, Kindesvertretung und das Recht auf Gehör.



Studien des SKMR: Zugang zur Justiz, kinderfreundliche Verfahren und Partizipation

Der Themenbereich Kinder- und Jugendpolitik befasste sich in verschiedenen Studien mit der Umsetzung des Rechts auf Anhörung gemäss Art. 12 UNO-KRK in der Schweiz. Einerseits wurden die ersten Auswirkungen des 2013 in Kraft getretenen Kindesschutzrechts mit Fokus auf das Recht auf Anhörung in drei Kantonen untersucht (2015). Weiter wurde in Zusammenarbeit mit dem Themenbereich Migration eine Studie zur Anhörung des Kindes bei einer zivilrechtlichen Fremdplatzierung und bei der Wegweisung eines ausländischen Elternteils erstellt (2017). Die Resultate der Studien wurden mit den Kantonen und weiteren interessierten Fachpersonen anlässlich von mehreren Tagungen diskutiert.

Im Auftrag des Bundesamts für Justiz und in Zusammenarbeit mit den Kantonen wurde eine vergleichende Bilanz zur Umsetzung von Art. 12 UNO-KRK in der Schweiz erstellt (2020). Für diese Studie wurde, nebst einer Evaluation der internationalen und nationalen rechtlichen Grundlagen zu Art. 12 UNO-KRK, eine umfassende Datenerhebung in neun Kantonen zur Partizipation von Kindern in den Themenbereichen Justiz, Kindesschutz, Gesundheit und Bildung sowie bei den Jugendparlamenten durchgeführt. Daraus folgten Empfehlungen an Bund und Kantone, die 2020 an einer nationalen Tagung mit Bund, Kantonen und interessierten Fachpersonen vorgestellt und diskutiert wurden.

Sensibilisierung für Kinderrechte in der Schweiz

Ein weiterer Wirkungsbereich des Themenbereichs war die Sensibilisierung und Information zu aktuellen Entwicklungen der Kinderrechte national und international. Dies geschah durch Fachartikel sowie an nationalen und internationalen Symposien u. a. in Zusammenarbeit mit dem Centre interfacultaire en droits de l’enfant (CIDE) der Universität Genf. Themen waren Kinderrechte und Migration, Kinderrechte und religiöse Überzeugungen, Verbot von Körperstrafen sowie Kinderrechte im digitalen Zeitalter. 


Auswirkungen des neuen Jugendstrafrechts und Kindesschutzrechts

In der Schweiz traten Anfang 2011 die nationale Jugendstrafprozessordnung und Anfang 2013 das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft. Diese verbesserten den Zugang von Kindern zur Justiz und führten zu einer kindgerechteren Ausgestaltung von straf- und kindesschutzrechtlichen Verfahren. In einer Studie zum Kindesschutzrecht untersuchte der Themenbereich die ersten Auswirkungen der neuen Regelungen zur Kindesanhörung sowie die Verfahrensvertretung und die Organisation und Funktionsweise der neuen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden in drei Kantonen (2014).

Kinderrechte standen zudem seit 2016 im Fokus des SKMR-Schwerpunkts «Zugang zur Justiz», mit Untersuchungen zur Umsetzung des kindgerechten Verfahrens. Der Zugang zur Justiz ist auch für Kinder eines der zentralen Rechte in einem demokratischen Rechtsstaat und somit eine grundlegende Voraussetzung für die Verwirklichung der Kinderrechte.

Umgesetzte Empfehlungen

Einige Empfehlungen des SKMR, des UNO-Kinderrechtsausschusses und der Akteur*innen der Zivilgesellschaft auf Bundesebene wurden umgesetzt:

  • 2021 beauftragte das Parlament den Bundesrat, Rechtsgrundlagen für die Schaffung einer Ombudsstelle für Kinderrechte zu erarbeiten.
  • Der Bund wird in Zusammenarbeit mit den Kantonen den interdisziplinären Austausch zur Partizipation im Bereich Gesundheit fördern.
  • Der Bundesrat lässt die geltende gesetzliche Regelung der fürsorgerischen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen bis Ende 2024 überprüfen.
  • Der Bundesrat unterstützt von 2022 bis 2026 finanziell Organisationen, die Fachleute für die Kinderrechte sensibilisieren und weiterbilden.

Es braucht klare Rechtsgrundlagen und eine klare Zuweisung der Verantwortung

Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass klare nationale Rechtsgrundlagen der Partizipation von Kindern erforderlich sind. Im Jugendstraf-, Scheidungs- und Kindesschutzverfahren sind dank nationaler Rechtsgrundlagen die Instrumente der Anhörung und der Kindesvertretung inzwischen bekannt – was aber nicht heisst, dass sie immer eingesetzt werden.

Wir haben zudem festgestellt, dass sich die Akteur*innen eine klarere Zuordnung der Verantwortung für die Umsetzung der unterschiedlichen Formen der Partizipation in den Bereichen Information, Anhörung, Begleitung und Vertretung des Kindes wünschen. Beteiligte Fachpersonen wünschen sich zudem auch selbst mehr Informationen und Weiterbildungen.

Neuere Entwicklungen: Blick in die Praxis und Einbezug von Kindern

Eine weitere Erkenntnis ist, dass es nicht nur auf den rechtlichen Rahmen ankommt, sondern wesentlich auch auf dessen Umsetzung in der Praxis. Aus diesem Grund hat sich die Herangehensweise des SKMR mit den Jahren weiterentwickelt: Die qualitativen und quantitativen empirischen Elemente der interdisziplinären Studien haben laufend zugenommen. Insbesondere lohnt sich der Blick in die Praxis der Fachpersonen: Die Studienergebnisse können so mit einer grösseren Akzeptanz rechnen und besser zur Lösung von praktischen Problemen beitragen. Als weitere Neuerung hat der Themenbereich in seiner jüngsten Studie Vertreter*innen aus den kantonalen Jugendparlamenten einbezogen. Eine Empfehlung an die künftige Nationale Menschenrechtsinstitution (NMRI) ist deshalb, die Kinder und Jugendlichen vermehrt direkt in wissenschaftliche Untersuchungen einzubeziehen und mit ihnen gemeinsam Forschungsfragen zu erarbeiten.

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