Artikel

Wege zu einer unabhängigen Überwachung der Kinderrechte in der Schweiz

Überlegungen zur Einrichtung einer oder mehrerer unabhängigen Stellen zur Überwachung der Kinderrechte auf kantonaler und/oder nationaler Ebene in der Schweiz.

Abstract

Autor: Karl Hanson
(Übersetzung aus dem Französischen)

In Zusammenarbeit mit: Andressa Curry Messer, Nicole Hitz Quenon, Michelle Jenni, Valentine Thomet, Diana Volonakis

Publiziert am 16.12.2014

Zusammenfassung:

Dieser Artikel möchte einen Beitrag zur Frage leisten, ob in der Schweiz eine oder mehrere unabhängige Stellen zur Überwachung der Kinderrechte geschaffen werden sollen, welche die Kriterien der internationalen Empfehlungen, insbesondere des Kinderrechtsausschusses, erfüllen.

Zu Beginn stellen wir die internationalen Empfehlungen zur Schaffung einer nationalen Institution zur Überwachung der Kinderrechte vor. Dann möchten wir Anstösse liefern für Analysen und Diskussionen darüber, inwieweit es notwendig ist, unabhängige Stellen auf nationaler und/oder kantonaler Ebene zu schaffen, die auf die Förderung und den Schutz der Kinderrechte spezialisiert sind.

Wir beschäftigen uns insbesondere mit der Frage der Unabhängigkeit von Überwachungsinstitutionen für die Kinderrechte und dem Zusammenspiel dieser Institutionen auf internationaler, nationaler und kantonaler Ebene. Wir diskutieren auch die Frage, ob es eine spezialisierte Institution für die Förderung der Kinderrechte braucht oder ob diese Aufgaben in eine grössere Institution zur Überwachung der Menschenrechte integriert werden sollte.

Einleitung

Die Schweiz ist aufgefordert, am 21. und 22. Januar 2015 ihren periodischen Bericht zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention (KRK) vor dem Kinderrechtsausschuss zu präsentieren. Eine der Fragen, die dort aufgeworfen werden, bezieht sich auf Massnahmen, welche die Schweiz ergriffen hat, um die im Jahre 2002 angenommene Empfehlung (CRC/C/15/Add.182, par. 16) des Ausschusses umzusetzen. Darin geht es um die Schaffung einer unabhängigen nationalen Menschenrechtsinstitution. Eine solche Institution sollte unter anderem Fortschritte bei der Umsetzung der KRK in der Schweiz überwachen und evaluieren.

Bis heute hat die Schweiz dieser Empfehlung keine Folge geleistet, obwohl sie sowohl von NGOs als auch von Parlamentariern aufgegriffen wurde. Im September 2014 wurde dem Bundesrat eine Motion vorgelegt, in der vorgeschlagen wurde, auf nationaler Ebene eine unabhängige Ombudsstelle für die Rechte des Kindes einzusetzen (Motion 14.3758). In seiner Antwort vom 19. November 2014 (einem Tag vor dem 25. Jahrestag der Annahme der Kinderrechtskonvention) empfiehlt der Bundesrat, die Motion abzulehnen. Er argumentiert, dass es bereits viele öffentliche und private Akteure gibt, die auf nationaler oder kantonaler Ebene Aufgaben übernehmen, die eine unabhängige Ombudsstelle für Kinderrechte übernehmen würde. Deshalb ist der Bundesrat der Meinung, «dass eine Koordination der verschiedenen existierenden und aktuell diskutierten Massnahmen zieführender wäre als die Schaffung einer neuen Stelle».

In seiner Antwort scheint der Bundesrat keinen Unterschied zu machen zwischen der Umsetzung («implementation») der Kinderrechte, wo tatsächlich eine verbesserte Koordination nötig ist, und der unabhängigen Überwachung («monitoring»), welches die Hauptaufgabe einer unabhängigen Institution wie einer Ombudsstelle für Kinderrechte wäre.

Internationale Empfehlungen

Wichtige internationale Standards und Empfehlungen wurden ausgearbeitet, um die Staaten dazu zu bewegen, auf nationaler Ebene Institutionen zur Überwachung der Kinderrechte zu schaffen.

So hat sich die Schweiz nach der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention 1997 dazu verpflichtet, «alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Massnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen» (Art. 4 KRK). Der Ausschuss für die Rechte des Kindes, das Organ, welches durch die KRK geschaffen wurde, um die Anwendung der Kinderrechte durch die Vertragsstaaten zu kontrollieren, hat weitere Informationen zur Reichweite dieser Richtlinie in zwei General Comments geliefert.

Im General Comment No 5 von 2003, in dem die Pflicht der Staaten definiert wird, allgemeine Umsetzungsmassnahmen zu ergreifen, hält der Ausschuss die Schaffung einer unabhängigen Institution zur Verteidigung der Kinderrechte für einen integralen Bestandteil der zahlreichen Massnahmen, die nötig sind, um die KRK tatsächlich umzusetzen. Gemäss General Comment No 5 sollen diese unabhängigen Institutionen zur Verteidigung der Kinderrechte zusätzlich zu Regierungsstellen, die sich mit Kinderrechtsfragen befassen, arbeiten.

Der Ausschuss wollte bereits 2002 mit der Verabschiedung seines General Comment No 2 die Vertragsstaaten dazu veranlassen und sie dabei unterstützen, eine unabhängige Institution für die Förderung und Überwachung der Umsetzung der Konvention zu schaffen. Dieser General Comment von 2002 enthält präzisere Angaben zu den notwendigen Eigenschaften dieser Institutionen und der Aktivitäten, die sie ausüben sollten.

So haben mehrere europäische Länder Stellen geschaffen, die sich ausschliesslich mit der Verteidigung und Förderung der Kinderrechte beschäftigen, entweder in Form eines beauftragten Mediators oder Mediatorin, eines/r Delegierten, einer Ombudsstelle oder eines unabhängigen Kommissars für Kinder. Seit 1997 haben sich 43 unabhängige Institutionen aus 35 europäischen Ländern zu einem europäischen Netzwerk von Mediatoren/-innen für Kinder zusammengeschlossen (ENOC, European Network of Ombudspersons for Children). In dem Netzwerk ist keine einzige schweizerische Institution vertreten.

In den Schlussbemerkungen vom 13. Juni 2002 empfiehlt der Ausschuss der Schweiz ausdrücklich «eine bundesstaatliche, unabhängige Menschenrechtsinstitution einzurichten, die im Einklang mit den Prinzipien von Paris betreffend Status nationaler Institutionen für die Promotion und den Schutz der Menschenrechte (Generalversammlungsresolution 48/134) steht. Deren Aufgabe soll die Überwachung und Evaluierung der Fortschritte in der Umsetzung der Konvention sein. Sie soll für Kinder zugänglich und befugt sein, Beschwerden über die Verletzung von Kinderrechten entgegenzunehmen, diese in kindergerechter Art und Weise zu überprüfen und wirksam zu verfolgen» (Abs.16).

Überwachungstätigkeiten

Der General Comment No 2 des Kinderrechtsausschusses zum Thema der unabhängigen nationalen Institutionen zum Schutz der Menschen-/Kinderrechte beschreibt die Aufgaben, welche diese Institutionen zur Durchsetzung der Kinderrechte übernehmen sollten. Unter den empfohlenen Aufgaben legt der Ausschuss Gewicht darauf, dass diese Institutionen befugt sein sollten, Individualbeschwerden entgegen zu nehmen und Untersuchungen zu Kinderrechtsverletzungen auf Anfrage oder auf eigene Initiative durchzuführen. Im Rahmen der Einzelfallbehandlungen sollten vorzugsweise Mediations- und Versöhnungsverfahren eingesetzt werden. Ausserdem sollten die Kinder Zugang zu unentgeltlichem Rechtsbeistand haben.

Als weitere wichtige Tätigkeit dieser Institutionen nennt der General Comment No 2 des Ausschusses die Ausarbeitung und Verbreitung von Vorschlägen, Empfehlungen und Berichten in Bezug auf alle Themen zur Förderung und zum Schutz der Kinderrechte. Dies kann auf Eigeninitiative oder auf Anfrage der Behörden hin geschehen. Ausserdem sollten diese Institutionen auch die Angemessenheit und Wirksamkeit der Gesetze und der Praxis zum Schutz der Kinderrechte überprüfen. Um die Gesamtheit dieser Tätigkeiten zu umschreiben, die zu einer strukturellen Änderung zu Gunsten der Kinder und Jugendlichen führen, werden wir nachfolgend den Ausdruck «kinderpolitische Interessenvertretung» (auf Englisch: «child-advocacy») verwenden. Die unabhängigen Menschenrechtsinstitutionen sollen gemäss des General Comment No 2 ausserdem quantitative und qualitative Datenerhebungen zu den Kinderrechten durchführen.

Diskussion

In der Schweiz arbeiten eine grosse Zahl von Stellen zu Kinderrechtsthemen, entweder auf nationaler oder auf kantonaler Ebene. Diese verschiedenen Stellen, wie zum Beispiel die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ), die kantonalen Beauftragten für Kinder- und Jugendförderung, das Netzwerk Kinderrechte oder anwaltschaftliche Organisationen für Minderjährige (z.B. «Kinderanwaltschaft Schweiz» und «Juris Conseil Junior»), üben ähnliche Tätigkeiten aus wie Mediatoren/-innen, Delegierte, Ombudsstellen oder unabhängige Kommissare/-innen für Kinder, die es in anderen europäischen Staaten gibt. Sie untersuchen Kinderrechtsverletzungen in Einzelfällen, schreiben Berichte, verfassen Empfehlungen zur Kinder- und Jugendpolitik und führen Erhebungen zu Perspektiven spezifischer Gruppen von Kindern und Jugendlichen und deren Lebensumständen durch.

Allerdings erfüllt keine der Stellen die von internationalen Empfehlungen festgelegten Kriterien vollständig. Wir werden in diesem Teil einige Denkanstösse liefern zur Einsetzung von Überwachungsinstitutionen für die Kinderrechte in der Schweiz, sowohl auf nationaler, als auch auf kantonaler Ebene. In diesen Denkanstössen geht es um die Unabhängigkeit, die Interaktion zwischen nationaler und kantonaler Ebene und um die Frage, wie man eine solche Institution in grössere Strukturen zur Überwachung der Menschenrechte einbetten könnte oder ob man zur Überwachung der Kinderrechte spezifische Mechanismen schaffen sollte.

Unabhängigkeit

Auf kantonaler Ebene besitzen die Kantone Baselland, Baselstadt, Waadt, Zug und Zürich Mediatoren/-innen oder Ombudsstellen, die gesetzlich legitimiert und unabhängig sind. Allerdings sind diese unabhängigen Einrichtungen für Kinder wenig zugänglich, auch wenn sich Kinder im Prinzip für Auskünfte oder um eine Beschwerde einzureichen an die kantonalen oder kommunalen Ombudsstellen wenden könnten, wenn ihre Rechte durch eine kantonale oder kommunale Behörde verletzt wurden. Diese kantonalen Mediatoren/-innen richten sich aber an die gesamte Bevölkerung des Kantons und haben kein spezifisches Mandat, um die Kinderrechte zu schützen und zu fördern. So sind z.B. die Webseiten der Ombudsstellen in den beiden Kantonen Baselstadt und Baselland sowie diejenige der Mediatorin im Kanton Waadt nicht kindergerecht. Das Design und die benutzte Sprache scheinen für Kinder wenig verständlich. Kein Kanton hat einen Mediator oder eine Mediatorin, der oder die sich ausschliesslich um kinderspezifische Fälle kümmert.

Die Kinderschutzbehörden, die in Einzelfällen intervenieren, sind kantonal gesetzlich legitimiert, aber ihr Mandat beschränkt sich auf Fragen des Kindswohls in der Familie und deckt deshalb nicht alle Vorgaben in der KRK ab. Ausserdem übernehmen diese Stellen keine kinderpolitische Interessensvertretung und keine Forschungsaufgaben. Die verschiedenen kantonalen Behörden, die sich mit Themen von Kindheit und Jugend auseinandersetzen, wie z.B. die kantonalen Beauftragten für Kinder- und Jugendfragen, haben zur Aufgabe, die kantonale Politik umzusetzen, aber sie haben kein Mandat zur Überwachung. Ausserdem arbeiten sie nicht unabhängig von den Verantwortlichen in der Politik, denen sie untergeordnet sind. Die kantonalen Kommissionen zu Kinder- und Jugendfragen, die häufig die Aufgabe haben, die kantonale Politik zu strategischen Fragen in der Kinder- und Jugendpolitik zu unterstützen, haben eine grössere Unabhängigkeit zu kantonalen Regierungen, sind aber nur beratende Organe.

Auf nationaler Ebene ist die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) gesetzlich legitimiert, die Interessen von Kindern und Jugendlichen in politischen Belangen zu vertreten (Art. 22 des neuen Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFG)). Die EKKJ ist mandatiert, die Situation der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz zu analysieren, zu prüfen, ob das KJFG der Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz genügend Rechnung trägt, und kinder- und jugendpolitisch wichtige Gesetze und Verordnungen vor ihrem Erlass auf ihre Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche zu untersuchen. Ausserdem hat die EKKJ das Mandat, die Öffentlichkeit für die Anliegen und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu sensibilisieren. Als ausserparlamentarische Kommission und beratendes Organ des Bundesrates zu kinder- und jugendpolitischen Fragen besitzt die EKKJ eine gewisse Unabhängigkeit von der Regierung und der Verwaltung. Die EKKJ, deren Mitglieder vom Bundesrat gewählt werden, kann also thematische Prioritäten setzen und den Inhalt ihrer Stellungnahmen, Berichte, Empfehlungen und Vorschläge festlegen. Aber die EKKJ ist nicht ermächtigt, Beschwerden oder Anfragen entgegenzunehmen, die einzelne Fälle von Kinderrechtsverletzungen betreffen.

Ausserdem ist daran zu erinnern, dass das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR), das als universitäres Pilotprojekt für eine Dauer von 5 Jahren gegründet wurde, kein unabhängiges nationales Menschenrechtsinstitut im Sinne der Pariser Prinzipien ist. Das SKMR ist gesetzlich nicht legitimiert, ist nicht unabhängig vom Staat, hat ungenügende Handlungsinstrumente und Ressourcen zur Verfügung und ist für Einzelpersonen oder Gruppen von Einzelpersonen nicht zugänglich. Deshalb kann das SKMR in seiner aktuellen Form keine adäquate Antwort auf die Empfehlung des Kinderrechtsausschusses liefern, eine nationale Institution für die Verteidigung der Menschenrechte zu schaffen, die auch für die Förderung und den Schutz der Kinderrechte verantwortlich ist.

Deshalb erfüllt im Moment keine nationale oder kantonale Stelle die Kriterien, um Mitglied im europäischen Netzwerk für Kinderrechte (ENOC) zu werden. Bei ENOC können nur unabhängige Kinderrechtsinstitutionen aus Mitgliedsstaaten des Europarats Mitglied werden, die alle Kriterien aus den Statuten von ENOC erfüllen. So müssen die Institutionen insbesondere durch ein vom Parlament beschlossenes Gesetz geschaffen werden, das ihre Unabhängigkeit garantiert. Sie müssen als ihre Aufgabe den Schutz und die Förderung der Kinderrechte haben und müssen ihr eigenes Arbeitsprogramm in Übereinstimmung mit ihrem Mandat ausarbeiten dürfen. Ausserdem müssen die Institutionen über mindestens eine klar identifizierbare Person verfügen, deren einzige Aufgabe es ist, die Kinderrechte zu schützen und zu fördern. Das Gesetz muss Vorschriften über die Wahl und die Dauer des Mandats dieser Person enthalten, die als Ombudsperson mandatiert wird.

Interaktionen zwischen nationaler und kantonaler Ebene

In der Schweiz sind die materiellen Befugnisse bei der Kinder- und Jugendpolitik zwischen der Eidgenossenschaft und den Kantonen aufgeteilt. Die Mehrheit davon liegt aber bei den Kantonen. Deshalb ist es logisch, dass den Kantonen ebenfalls eine wichtige Überwachungsaufgabe in der Anwendung der KRK zukommt. Kantone, die eine unabhängige Ombudsstelle besitzen, können dieser Institution ein spezifisches Mandat erteilen. Diese Einrichtungen stellen den Bezug zwischen der Zivilgesellschaft und der Kantonsverwaltung her.

Die Institutionen zur Verteidigung der Kinderrechte finden sich an der Schnittstelle zwischen den internationalen Überwachungsmechanismen (z.B. den UNO-Ausschüssen), den nationalen (z.B. den unabhängigen nationalen Menschenrechtsinstitutionen) sowie den regionalen Stellen (z.B. die kantonalen Ombudsstellen) . Der gesetzliche Status, die Unabhängigkeit und die Befugnisse der Ombudsstellen für Kinder werden in dezentralen und föderalen Prozessen festgelegt. Sie haben das Potential, als Schnittstellen zwischen den verschiedenen Regierungsebenen zu agieren, die sich mit den Gesetzen, der Durchsetzung und der Überwachung der Kinderrechte beschäftigen.

Eine Studie von UNICEF von 2013 zu den Ombudsstellen für Kinderrechte unterscheidet nach lokaler oder nationaler Ebene und der unterschiedlichen Interaktion zwischen den verschiedenen Ebenen vier Kategorien von Institutionen (S. 102):

  • Nationale Institutionen, die manchmal auch auf lokaler Ebene tätig sind
  • Nationale Institutionen, die Regionalbüros auf lokaler Ebene haben
  • Nationale Institutionen, neben denen es auch unabhängige Institutionen auf regionaler bzw. lokaler Ebene gibt
  • Unabhängige Institutionen, die es auf kantonaler, regionaler oder kommunaler Ebene gibt

Das Modell, das im föderalistischen System der Schweiz am besten funktionieren würde, wäre die Kombination einer nationalen Institution mit unabhängigen Stellen auf kantonaler Ebene. Solch ein System hätte den Vorteil, dass die Umsetzung der Kinderrechte sowohl auf nationaler als auch auf kantonaler Ebene überwacht werden könnte. Dafür müssten Kooperationen und Netzwerke zwischen den einzelnen Institutionen geschaffen werden.

Eine Institution, die in eine NMRI integriert ist oder eine eigene Institution, die sich spezifisch um Kinderrechte kümmert?

In den Kantonen sind es meist unterschiedliche Stellen, die sich entweder um Beschwerden von Einzelpersonen kümmern oder kinderpolitische Interessen vertreten. Für europäische Ombudsstellen für Kinder liegt der Knackpunkt aber genau darin, dass diese beiden Tätigkeiten in einer einzigen Institution vereint sein sollten. Die meisten von ihnen leisten sowohl Interessensvertretung als auch Interventionsarbeit in Einzelfällen. Für sie ist die Einzelfallarbeit ein wichtiger Teil ihrer Arbeit, nicht nur, weil sie dadurch konkrete Fälle lösen können, sondern auch, weil das Wissen aus dieser Arbeit für die allgemeine Interessensvertretung Impulse geben kann und weil sie ihrer Tätigkeit Glaubwürdigkeit verleiht.

In der Praxis existieren zwei Organisationsmodelle dieser Institutionen: In einigen Ländern wie zum Beispiel in Griechenland oder in der Autonomen Gemeinschaft Katalonien in Spanien wurden spezielle Strukturen innerhalb der allgemeinen Nationalen Menschenrechtsinstitution geschaffen. Diesen wurden besondere Aufgaben im Bereich des Schutzes und der Förderung der Kinderrechte übertragen. In anderen Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden gibt es unabhängige Institutionen, die auf die Überwachung der Grundrechte der Kinder spezialisiert sind oder es gibt eine/n Mediator/in oder Kommissar/in für Kinderrechte.

Die meisten Mitglieder der ENOC sind spezialisierte Institutionen, und der Kinderrechtsausschuss bevorzugt ebenfalls ein solches Modell. Dem Ausschuss geht es vorrangig darum, dass diese Institution «die Kapazität hat, die Kinderrechte unabhängig und effizient zu überwachen, fördern und schützen » (General Comment No 2). Die Struktur selbst ist zweitrangig, ob als unabhängige Institution für die Verteidigung der Kinderrechte oder eingebettet in eine unabhängige Institution mit umfangreicherem Mandat zur Verteidigung der Menschenrechte.

Bei den aktuellen Überlegungen, eventuell eine nationale unabhängige Menschenrechtsinstitution zu gründen, ist es wichtig, den besonderen Aspekt der Überwachung der Kinderrechte mit einzubeziehen. Eine Möglichkeit wäre es, auf nationaler Ebene eine Stelle für die Verteidigung der Kinderrechte zu schaffen, die innerhalb einer unabhängigen nationalen Menschenrechtsinstitution bestehen würde. In diesem Fall müsste garantiert werden, dass die Stelle für Kinderrechte genügend Kapazitäten hätte, um die Kinderrechte effizient und völlig unabhängig zu überwachen, zu fördern und zu schützen. Diese Unabhängigkeit müsste nicht nur gegenüber dem Staat gewährleistet sein, sondern auch gegenüber der allgemeinen Menschenrechtsinstitution. Dafür müssten zum Beispiel eine Gesetzesgrundlage geschaffen und eine angemessene Finanzierung und Steuerung vorgesehen werden.

Schlussfolgerung

Auf nationaler Ebene gibt es keine unabhängige Stelle, die zur Aufgabe hat, die Umsetzung der Kinderrechtskonvention sowohl mit Hilfe von Einzelfallbearbeitung wie auch mit Interessenvertretung und Datenerhebungen zu überwachen. Diese Lücke könnte mit der Schaffung einer unabhängigen nationalen Menschenrechtsinstitution geschlossen werden. In unserer Abhandlung haben wir hervorgehoben, wie wichtig eine solche Institution wäre, wenn sie denn Wirklichkeit werden würde und wenn in ihr die besonderen Anforderungen zur Überwachung der Kinderrechte berücksichtigt würden. Sie könnte zum Beispiel eine starke, untergeordnete Stelle zur Verteidigung der Kinderrechte enthalten. Ein besonderes Augenmerk muss auf die Zusammenarbeit zwischen dieser Institution mit den bereits existierenden Stellen, die kinderpolitische Interessen vertreten, wie z.B. die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen oder das Netzwerk Kinderrechte, gelegt werden. Das Fachwissen der kinderanwaltschaftlichen Vereine sollte ebenfalls weitergegeben werden, damit die Behandlung von Einzelfällen so gut wie möglich an Kinder und Jugendliche angepasst wird. Schliesslich sollten die Stellen für die Finanzierung von Forschung sowie das Bundesamt für Statistik ermutigt werden, die Forschung und Datenerhebungen zur Kinder- und Jugendpolitik weiter zu entwickeln.

Eine gute Koordination mit den Kantonen wäre ebenfalls eine unerlässliche Voraussetzung. Die Kantone haben eine grosse Zahl an Akteuren, die für die Umsetzung der Kinderrechte arbeiten. Die meisten Kantone haben bereits Strukturen geschaffen, um die kantonale Kinder- und Jugendpolitik zu koordinieren. Nur wenige Kantone haben allerdings unabhängige Gremien oder Stellen geschaffen, die die Kinderrechte überwachen. Nur fünf Kantone haben einen Mediator oder eine Mediatorin, wo Kinder und Jugendliche einer unabhängigen Instanz Einzelfälle vorbringen können. Diese kantonalen parlamentarischen Ombudsstellen scheinen bis jetzt den Schutz der Kinderrechte nur wenig in die Öffentlichkeit getragen zu haben. Sie könnten ihre Arbeit auf diesem Gebiet noch ausbauen. Die kinderpolitische Interessenvertretung wird im Moment von kantonalen Stellen oder von Beratungsstellen übernommen, die in der Regel weder über gesetzliche Garantien noch über genügende Ressourcen verfügen, um ihre Unabhängigkeit gewährleisten zu können. Schliesslich müssten in jedem Kanton, unter Einbezug der lokalen Akteure und in Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen, ausführliche Studien gemacht werden, um die Herausforderungen und Möglichkeiten zur Einrichtung von kantonal angepassten Überwachungsstellen besser zu verstehen.

^ Zurück zum Seitenanfang