Artikel

Verweigerung der Adoption für gleichgeschlechtliches Paar verstösst nicht gegen die EMRK

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur Rechtssache Gas et Dubois v. France (25951/07)

Abstract

Autorin: Iris Glockengiesser

Publiziert am 02.05.2012

Bedeutung für die Praxis:

  • Der EGMR verneint eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in einem Fall von Adoptionsverweigerung für ein homosexuelles Paar in Frankreich.
  • Aufgrund der geltenden Rechtslage in Frankreich hätte die leibliche Mutter bei Adoption des Kindes durch ihre Partnerin ihr Sorgerecht verloren. Dies widerspricht sowohl ihren Interessen als auch jenen des Kindes.
  • Der EGMR bestätigt den Ermessensspielraum der Staaten in der Frage des Zugangs von homosexuellen Paaren zum Institut der Ehe, sowie jenen bei der Regelung anerkannter Partnerschaften für homosexuelle Paare und den damit verbundenen Rechten.

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerinnen V. Gas und N. Dubois leben in einem Pacte civil de solidarité PACS (ähnlich der eingetragenen Partnerschaft in der Schweiz, jedoch auch für heterosexuelle Paare zugänglich). V. Gas wurde die einfache Adoption (adoption simple) der Tochter ihrer Lebenspartnerin verweigert. Begründet wurde dies mit der Regelung des französischen Rechts, wonach bei einfacher Adoption durch unverheiratete Paare das Sorgerecht auf den adoptierenden Elternteil übergeht und der biologische Elternteil sein Sorgerecht verliert. Dies hätte im vorliegenden Fall sowohl den Interessen der leiblichen Mutter als auch jenen des Kindes widersprochen.

EGMR: Keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung

Die beiden Frauen rügten vor dem EGMR eine Verletzung ihres Rechts auf Privat- und Familienleben gemäss Art. 8 EMRK sowie des Diskriminierungsverbotes gemäss Art. 14 in Verbindung mit 8 EMRK aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Sie argumentierten, dass sie einerseits gegenüber heterosexuellen verheirateten Paaren diskriminiert würden, weil diese adoptionsberechtigt seien, und andererseits gegenüber heterosexuellen nicht-verheirateten Paaren, da diesen die Ehe offen stehe.

In seinem Urteil verneinte der EGMR eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung: Zum einen seien auch heterosexuelle nicht-verheiratete Paare mit PACS von der Adoption ausgeschlossen, zum anderen bekräftigte der EGMR seine Rechtsprechung, wonach es im Ermessensspielraum der Staaten liege, ob homosexuellen Paaren der Zugang zur Ehe ermöglicht werde und welche Rechte mit Zivilpakten verbunden würden.

Vergleich mit Schweizer Rechtslage schwierig

Das Urteil ist nicht direkt auf die schweizerische Situation übertragbar, da das Adoptionsrecht in der Schweiz und jenes in Frankreich unterschiedlich ausgestaltet und die Adoptionsformen mit unterschiedlichen Konsequenzen verbunden sind.

Vielmehr muss die Entscheidung des EGMR in jenem Schweizer Fall abgewartet werden, in dem das Bundesgericht im Mai 2011die Verweigerung der Stiefkindadoption für ein homosexuelles Paar als rechtmässig erklärt hatte (siehe Artikel «Bundesgericht bestätigt Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare» vom 6. Juli 2011 im SKRM Newsletter Nr. 2). Dem Vernehmen nach wurde in diesem Fall Beschwerde gegen die Schweiz eingereicht.

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