Artikel

LGBT-Rechte sind Menschenrechte

UNO und Europarat erinnern die Staaten an ihre Pflicht, die Menschenrechte ohne Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität zu gewährleisten.

Abstract

Autorin: Christina Hausammann

Publiziert am 01.02.2012

Bedeutung für die Praxis:

  • Sowohl die UNO-Vertragsüberwachungsgremien als auch der Europarat und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bekräftigen die Geltung der Menschenrechte für Lesben, Homo-, Bisexuelle, Transgender- und intersexuelle Menschen (im Folgenden „LGBT-Minderheiten“ genannt).
  • Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität ist verboten.
  • Verletzungen der Menschenrechte der LGBT-Minderheiten müssen von den Staaten untersucht werden.
  • Die Mitgliedstaaten des Europarates sind aufgefordert, die Frage der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität in das Mandat bestehender nationaler Menschenrechts-Institutionen aufzunehmen.
  • In der Schweiz sind diverse ausserparlamentarische Kommissionen und Fachstellen aufgerufen, sich der rechtlichen und faktischen Situation der LGBT-Minderheiten anzunehmen.

Am 16. Dezember 2011 hat die UNO einen Bericht der Hochkommissarin für Menschenrechte über rechtliche und faktische Diskriminierung sowie Gewalt gegenüber Einzelnen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität veröffentlicht.

Die Studie geht auf eine Resolution des Menschenrechtsrates anlässlich seiner 17. Sitzung vom Juni 2011 zurück. Eine Mehrheit von europäischen und amerikanischen Staaten hatte sich gegen Vertreter und Vertreterinnen aus afrikanischen und islamischen Ländern sowie auch Russland durchgesetzt. Widerstand gegen die Behandlung von LGBT-Themen kommt damit in erster Linie aus Staaten, die generell striktere und stereotypisierte Geschlechterrollen verteidigen und – was insbesondere die islamischen Staaten betrifft – zum Beispiel auch die Rechte der Frau nur im Rahmen ihrer nationalen Rechtssysteme bzw. religiöser Vorgaben akzeptieren (siehe dazu auch SKMR-Newsletter Nr. 1: Gemeinsame Verlautbarung zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität).

Die Studie der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte betont, dass die Menschenrechte, wie sie in den universellen und in den regionalen Menschenrechtsverträgen niedergelegt sind, jegliche Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität verbieten. Verwiesen wird unter anderem auf die Praxis des Menschenrechtsausschusses, welcher erstmals 1994 einen Staat wegen diskriminierender homophober Gesetze verurteilt hatte (Toonen gegen Australien). Der Bericht erwähnt im weiteren, dass in den letzten zehn Jahren alle zentralen Menschenrechts-Vertragsorgane in ihren „Allgemeinen Kommentaren“ (General Comments) die Staaten aufgefordert haben, Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität zu unterbinden, so der Ausschuss für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (CESCR), der Ausschuss gegen Folter (CAT) und der Ausschuss für die Rechte des Kindes (CRC) sowie schliesslich der Ausschuss gegen Frauendiskriminierung (CEDAW) in seiner Allgemeinen Empfehlung Nr. 28 von 2010.

Der Bericht der Hochkommissarin wird voraussichtlich im März 2012 im Menschenrechtsrat diskutiert werden.

Deutliches Statement des Europarates zugunsten der LGBT-Rechte

Der Europarat sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beschäftigen sich seit Anfang der achtziger Jahre mit Fragen der sexuellen und geschlechtlichen Selbstbestimmung. Das Ministerkomitee und die Parlamentarische Versammlung haben im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Resolutionen dazu gefasst. Mit der Annahme der Empfehlung CM/Rec(2010)5 hat das Ministerkomitee des Europarates erstmals umfassend die Menschenrechte der LGBT festgehalten und betont, dass die Menschenrechte universelle Geltung haben und auf alle Menschen Anwendung finden müssen. Diskriminierung und sozialer Ausschluss von Menschen aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität müsse von den Staaten aktiv bekämpft werden.

Im Juni 2011 hat der Kommissar für Menschenrechte des Europarates eine umfassende Studie mit Daten über die soziale und rechtliche Situation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und Trans-Menschen in allen 47 Mitgliedstaaten des Europarates vorgelegt und eindrücklich aufgezeigt, in welchem Ausmass deren Rechte verletzt werden. In jedem Land wurde eine Studie zur sozialen und rechtlichen Situation der LGBT-Minderheiten erarbeitet.

Mit den nun vorliegenden detaillierten Daten konnte eine grosse Lücke gefüllt werden. Die Menschen würden nämlich kaum über ihre tägliche Angst vor negativen Reaktionen in der Schule, am Arbeitsplatz, in ihrer Nachbarschaft oder in ihren Familien sprechen, wie der Menschenrechtskommissar Hammarberg schreibt, denn sie fürchteten, dass das Bekanntwerden ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Geschlechtsidentität zu Diskriminierung, Belästigung, Ablehnung oder gar Gewalt führen würde. Für die Diskussion über bestehende Verletzungen des Diskriminierungsverbots mit den Behörden sind objektive Daten indessen grundlegend.

Basierend auf den Länderberichten hat der europäische Menschenrechtskommissar Empfehlungen in den folgenden sieben Bereichen erarbeitet: Massnahmen zur Änderung der Einstellung gegenüber LGBT, zu den rechtlichen Standards, zum Schutz vor Gewalt und zur Gewährleistung von Asyl wegen Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität, zur Partizipation (Recht auf Versammlungs-, Meinungsäusserungs- und Vereinigungsfreiheit), zum Recht auf Privat- und Familienleben (inkl. Massnahmen zur erleichterten Änderung des Registergeschlechts), zum Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Erwerbsleben sowie schliesslich zum Stand der Forschung und Sammeln von Daten.

Sowohl das Ministerkomitee als auch der Menschenrechtskommissar fordern die Staaten sodann auf, auf nationaler Ebene unabhängige Strukturen zu schaffen, welche sich der LGBT-Thematik annehmen.

LGBT-Rechte in der Schweiz

Dank der Studie von Hammarberg liegt nun auch für die Schweiz erstmals eine Untersuchung vor, welche die soziale und rechtliche Situation von LGBT hierzulande dokumentiert. Aus dieser geht hervor, dass die Schweiz im Vergleich mit vielen europäischen Staaten gut dasteht.

Aber auch für die Schweiz gilt, dass homosexuelle, trans- und intersexuelle Menschen wenig sichtbar sind: Ihre Probleme sind kaum bekannt und werden nicht ernsthaft diskutiert. Im Gegensatz zu anderen diskriminierten Gruppen stehen in der Schweiz für die LGBT-Minderheiten auch keine Institutionen, Fachstellen oder Ombudsstellen zur Verfügung, an die sich Betroffene wenden können. Die fehlende institutionelle Verankerung der Thematik bewirkt ausserdem, dass keine Mittel zur Verfügung stehen, um die Situation und Probleme der LGBT-Minderheiten erforschen und untersuchen zu können und mögliche Massnahmen mit Politikern und Politikerinnen, Behördenmitgliedern und der Zivilgesellschaft zu diskutieren.

Soweit ersichtlich haben sich die bestehenden ausserparlamentarischen Kommissionen und Fachstellen bis jetzt kaum mit der Situation der LGBT beschäftigt. Es ist zu wünschen, dass sich diese Institutionen die Empfehlung des Ministerkomitees (Empfehlung CM/Rec(2010)5, Ziff. 45: Aufgabe für die nationalen Menschenrechtsinstitutionen) zu Herzen nehmen. So könnte sich zum Beispiel die Eidg. Kommission für Frauenfragen der Situation der lesbischen Frauen oder transgender oder intersexuellen Menschen annehmen. Wünschbar wäre ferner, dass sich die Eidg. Kommission für Kinder- und Jugendfragen mit den Herausforderungen befasst, welche Fragen der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung für Jugendliche mit sich bringen, und dass sie deren Situation in der Schule, Ausbildung und Sport etc. thematisiert. Gefordert sind die bestehenden Institutionen ausserdem, auch multiple Diskriminierungen zu thematisieren (Empfehlung CM/Rec(2010)5, Ziff. 46). Hier sind – neben den erwähnten – etwa auch die Eidg. Kommission gegen Rassismus und die Fachstelle für Rassismusbekämpfung, die Eidg. Kommission für Migrationsfragen und das eidg. Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung gefordert.

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