Artikel

Zugang zur bestmöglichen Ausbildung für alle Kinder

Welche Massnahmen müssen umgesetzt werden?

Abstract

Autorin: Paola Riva Gapany

Publiziert am 14.03.2013

Zusammenfassung:

Die von der Schweiz bereits 2012 akzeptierte Empfehlung 122.46 verlangt politische Massnahmen, damit Kinder aus benachteiligten Milieus und ausländischer Herkunft die bestmögliche Ausbildung erhalten. Dies ist in der Schweiz derzeit nicht gewährleistet. Es empfiehlt sich deshalb:

  • die Ausarbeitung eines nationalen Ausbildungsplans;
  • die Unterstützung der Frühförderung durch einen quantitativen und qualitativen Ausbau der Betreuungsplätze für Kleinkinder;
  • die Anpassung der Gesetzesbestimmungen zum Bezug von Sozialhilfe und für die Gewährung von Ausbildungsstipendien.

Die Schweiz investiert für Ausbildung und Erziehung leicht weniger als der Durchschnitt der OECD-Staaten (5,7% des BIP, OECD-Durchschnitt 5,9%), wie der Sozialalmanach von Caritas aus dem Jahre 2013 festhält. Bedeutend ist der Unterschied insbesondere bei der frühkindlichen Bildung, wo die Schweiz lediglich 0,19% des BIP aufwendet (in Frankreich liegt der Anteil bei 0,64%, in Österreich bei 0,41%).

Für die Gewährleistung der bestmöglichen Ausbildung für alle müssen Massnahmen im Bereich der Frühförderung ergriffen werden. Wichtig sind zudem Massnahmen, welche junge Menschen fördern, die von der Sozialhilfe abhängig sind bzw. gefährdet sind, dereinst Sozialhilfebezüger zu werden.

Soziale Gleichstellung

Das Bildungsniveau des Kindes, die Anzahl Schuljahre eines Kindes sowie dessen Förderung durch die Eltern werden stark beeinflusst durch deren soziale Stellung, also durch ihr Einkommen und ihre Ausbildung. Verschiedene Studien zeigen, dass Kinder mit schulischen Schwierigkeiten, die ausländischer Herkunft sind, eher einer Sonder- oder Hilfsklasse zugewiesen werden als Kinder mit ähnlichen Problemen, deren Eltern Schweizer sind oder sozial besser gestellt sind. Aufgrund ihrer familiären Situation beginnen zudem weniger dieser ausländischen Kinder eine Hochschulausbildung. Damit ein sozial benachteiligtes Kind die gleichen Chancen hat und entsprechend seiner Fähigkeiten gefördert werden kann, muss der Gleichstellungsauftrag bereits in der Kindertagesstätte ansetzen. Wichtig ist es, so früh wie möglich festzustellen, ob die Entwicklung eines Kindes aus psychosozialen Gründen gefährdet ist. Dann können die Eltern betreut und unterstützt werden, um so die Chancengleichheit des Kindes während der Ausbildung zu gewährleisten. Diesbezüglich ist das ZEPPELIN-Programm des Kantons Zürich und der Hochschule für Heilpädagogik Zürich hervorzuheben, das soziale Gleichstellung und Familiencoaching dank eines interdisziplinären Ansatzes kombiniert.

Junge Sozialhilfebezüger

In der Schweiz verfügen 70% der jungen Sozialhilfebezüger über keine Ausbildung. Dies stellt ein erhöhtes Armutsrisiko dar und belastet die öffentlichen Finanzen. Um diesen jungen Menschen zu helfen, müssen ihnen Ausbildungsstipendien gewährt werden. In der Schweiz gibt es derzeit jedoch kein harmonisiertes Zusammenwirken der Sozialhilfe mit dem Stipendienwesen, welches einem Jugendlichen in Ausbildung etwa das soziale Existenzminimum gemäss SKOS-Richtlinien garantieren würde. So beträgt die Sozialhilfe eines Jugendlichen ca. CHF 2000.- monatlich, während die Höhe eines Stipendiums bei CHF 170.- liegt. Der Wechsel zu einem Stipendium bedeutet somit einen drastischen Rückgang des zur Verfügung stehenden Einkommens für den Jugendlichen und seine Familie. Eine Anpassung der Bestimmungen ist unumgänglich, damit die Sozialhilfe nur noch eine Übergangslösung darstellt und damit für alle ein Anreiz besteht, eine Berufsausbildung zu absolvieren. Das FORJAD-Programm, das der Kanton Waadt seit 2010 für die Berufsausbildung junger Erwachsener in Schwierigkeiten bereitstellt, ist ein gutes Beispiel dafür.

Nationaler Ausbildungsplan

Das Schulwesen fällt gemäss Bundesverfassung in den Kompetenzbereich der Kantone (Art. 62 BV). Sie sorgen für einen ausreichenden Grundschulunterricht (obligatorische Ausbildung), der allen Kindern, unabhängig ihrer Herkunft, der sozialen Situation und der finanziellen Mittel ihrer Familien, offen steht. Die obigen Darlegungen zeigen jedoch, dass die Umsetzung dieser Verfassungsbestimmung lückenhaft ist. Deshalb muss der Bundesrat einen nationalen Ausbildungsplan ausarbeiten, der die Rahmenbedingungen für die kantonale Umsetzung von Frühförderungsprogrammen sowie von Aus- und Weiterbildung von Kleinkindererziehern/-innen schafft.

Harmonisierung der Gesetzesbestimmungen

Bund und Kantone setzen sich dafür ein, dass sich Kinder und Jugendliche sowie Personen im erwerbsfähigen Alter nach ihren Fähigkeiten bilden, aus- und weiterbilden können. Die Bundesverfassung hält dieses Sozialziel fest, ohne dass sich daraus unmittelbare individuelle Ansprüche auf staatliche Leistungen ableiten liessen (Art. 41 Abs. 1 lit. f und Abs. 4 BV). Ein weiteres Sozialziel ist die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Integration (Art. 41 Abs. 1 lit. g BV). Die berufliche Integration von sozial benachteiligten Jugendlichen fördert ihre soziale, politische und kulturelle Integration im Sinne von Art. 41 Abs. 1 lit. g BV. Sie muss deshalb durch die Anpassung der Gesetzesbestimmungen für die Sozialhilfe und das Stipendienwesen gefördert werden, damit der Beginn einer Ausbildung nicht länger zu Einkommenseinbussen führt. Parallel dazu müssen die Kantone vermehrt Kampagnen unterstützen, welche sich für einen besseren Zugang zu Lehrstellen für sozial benachteiligte Jugendliche einsetzen.

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