Artikel

Zugang zur Berufslehre für jugendliche Sans-Papiers

Vorschlag des Bundesrates vom 2. März 2012 - Harmonisierung der kantonalen Praktiken?

Abstract

Autorin: Paola Riva Gapany

Publiziert am 02.05.2012

Bedeutung für die Praxis:

Der Vorschlag des Bundesrats vom 2. März 2012, der jugendlichen Sans-Papiers den Zugang zur Berufslehre eröffnen soll, ist in verschiedener Hinsicht interessant:

  • Er harmonisiert bewährte kantonale Praktiken auf Bundesebene.
  • Er ändert das Gesetz dahingehend, dass der Zugang zur Berufslehre für jugendliche Sans-Papiers gesichert ist.
  • Er macht darauf aufmerksam, dass eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen erforderlich ist.
  • Er stützt die am 12. März 2007 eingereichte parlamentarische Initiative Amherd (07.402) «Verfassungsgrundlage für ein Bundesgesetz über die Kinder- und Jugendförderung sowie über den Kinder- und Jugendschutz».

In der Schweiz gilt die Berufslehre als Erwerbstätigkeit. Da Ausländerinnen und Ausländer dafür eine Bewilligung benötigen (Art. 11 Abs. 1 AuG), steht den 300 bis 500 jungen Sans-Papiers, die jedes Jahr die obligatorische Schule abschliessen, bisher der Ausbildungsweg über eine Lehre nicht offen. Dieser Zustand verletzt das Grundrecht auf Bildung und Berufsbildung, namentlich die Artikel 27 und 28 der UNO-Kinderrechtskonvention, die Artikel 5 und 7 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und Artikel 13 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 2010 forderte der UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in seinen Empfehlungen (Concluding Observations) die Schweiz auf, detailliert über die Situation von Sans-Papiers zu informieren, welche die grundlegendsten Rechte, insbesondere die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, nicht ausüben können.

Recht auf Erziehung und Ausbildung in der Schweiz

Gemäss Bundesverfassung sind für die Umsetzung des Rechts auf Erziehung die Kantone (Artikel 62) zuständig, während die Berufsbildung in die Kompetenz des Bundes fällt (Artikel 63). Einige Kantone haben sich organisiert, um die Legalisierung des Aufenthalts der Sans-Papiers, vor allem der Kinder unter ihnen, zu erreichen oder Jugendlichen ohne gesetzlichen Status Zugang zu Lehrstellen zu geben. Auf Gemeindeebene wurde die Stadtregierung von Lausanne am 29. März 2011 von der Gemeindelegislative ermächtigt, die Frage der Anstellung von Lehrlingen ohne gültige Papiere zu untersuchen. Es stellte sich heraus, dass einige junge Sans-Papiers sehr wohl eine Lehre machen können, nämlich dann, wenn sie in einem der Kantone oder Gemeinden wohnhaft sind, die den Vorrang des Völkerrechts vor dem Landesrecht anerkennen. Den übrigen Papierlosen bliebt dieser Weg jedoch verschlossen.

Am 14. September 2010 folgte der Ständerat dem Nationalrat und hiess die Motion Barthassat «Jugendlichen ohne gesetzlichen Status eine Berufslehre ermöglichen» gut. Daraufhin schickte der Bundesrat am 2. März 2012 einen Entwurf zur Änderung der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit in die Vernehmlassung. Gemäss diesem Entwurf soll jungen Papierlosen in Zukunft für die Dauer der Grundbildung eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden (neuer Artikel 30a).

Parlamentarische Initiative Amherd

Die am 12. März 2007 eingereichte parlamentarische Initiative Amherd (07.402) trägt den Titel «Verfassungsgrundlage für ein Bundesgesetz über die Kinder- und Jugendförderung sowie über den Kinder- und Jugendschutz». Wird sie angenommen, kann unter anderem die erforderliche Verfassungsgrundlage verabschiedet werden, um ein Rahmengesetz für die Regelung der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen und die Harmonisierung der kantonalen Praktiken zu schaffen. Die Annahme der Initiative könnte sogar den Grundstein für einen nationalen Aktionsplan zugunsten der Jugend legen.

Der Fall der Lehre für junge Sans-Papiers zeigt deutlich auf, worauf die Initiative Amherd abzielt: Die diskriminierenden Praktiken, die auf mangelnde Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren in der Kinder- und Jugendpolitik zurückzuführen sind, sollen eliminiert werden.

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