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Sammlung der Urteile zur Gleichstellung im Erwerbsleben

Die Datenbank www.gleichstellungsgesetz.ch dokumentiert Gerichtsurteile und Entscheide von Schlichtungsstellen nach dem Gleichstellungsgesetz

Publiziert am 31.10.2012

Bedeutung für die Praxis:

  • Die Datenbank www.gleichstellungsgesetz.ch dokumentiert auf verständliche Weise zusammengefasste Urteile zur Gleichstellung im Erwerbsleben aus den Kantonen der Deutschschweiz.
  • Die Datenbank eignet sich zur Erstinformation sowie zur gezielten Suche nach Urteilen, die sich mit einem bestimmten Aspekt des Gleichstellungsgesetzes befassen.
  • Die Datenbank bietet einen umfassenden Überblick über die Entscheide nach dem Gleichstellungsgesetz (GlG) in der Deutschschweiz. Sie informiert damit über einen zentralen, menschenrechtlich relevanten Bereich der Geschlechtergleichstellung in der Schweiz.
  • Mit der Datenbank soll Personalverantwortlichen, Führungskräften, Arbeitnehmern/-innen, Juristen/-innen, Beratungsstellen und Medienschaffenden ein Instrument zur Information geboten werden, das die Nutzung des GlG erleichtert und damit die Gleichstellung voranbringt. Auch Juristen/-innen in Ausbildung bietet sie ein praktisches Instrument zur gezielten Fall-Recherche.

Die Datenbank zum Bundesgesetz für die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz) existiert seit 2001 und ist ein Projekt der Deutschschweizer Fachstellen für Gleichstellung von Frauen und Männern und des Eidg. Gleichstellungsbüros. Sie enthält über 530 Verfahrensfälle zur Gleichstellung im Erwerbsleben, die basierend auf dem Gleichstellungsgesetz (GlG) und/ oder auf dem Verfassungsgrundsatz der Lohngleichheit gefällt worden sind. Sie bietet damit einen praxisnahen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung im Bereich Gleichstellung. Die Fälle sind mit Zusammenfassungen zu «Verfahrensgeschichte», «Erwägungen», «Ergebnis» und «Quellen» aufgearbeitet. Seit Juli 2012 werden die Fälle zwar weiterhin von den Gleichstellungsfachstellen recherchiert, doch die Datenbank wird nun neu vom Bereich Geschlechterpolitik des SKMR betreut.

Das Gleichstellungsgesetz (GlG)

Die Schweiz hat sich verpflichtet, die Beseitigung der Geschlechterdiskriminierung u.a. im Berufsleben sicherzustellen (Art. 8 Abs. Bundesverfassung; Art. 11 CEDAW). Mit dem 1996 geschaffenen GlG wird die direkte wie auch indirekte Diskriminierung von Frau und Mann sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis bezüglich Anstellung, Aufgabenzuteilung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und Weiterbildung sowie Beförderung und Entlassung (Art. 3 GlG) verboten. Als Diskriminierung gilt auch sexuelle Belästigung (Art. 4 GlG). Das GlG bietet eine gesetzliche Grundlage, die es Frauen und Männern erlaubt, sich gegen Diskriminierung im Erwerbsleben zur Wehr zu setzen und das verfassungsrechtlich verankerte Lohndiskriminierungsverbot geltend zu machen.

Entwicklung der Datenbank

Als Antwort auf die Einführung des GlG lancierten 2001 die Zürcher Gleichstellungsbüros eine Datenbank, welche die Fälle aus dem Kanton Zürich dokumentierte. Die Datenbank www.gleichstellungsgesetz.ch ist die Fortsetzung dieser Initiative, ausgeweitet auf alle Deutschschweizer Kantone. Parallel zur Datenbank für die Deutschschweizer Fälle gibt es noch die von der Conférence romande de l’égalité betriebene Datenbank für die Romandie (www.leg.ch), die nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet und die französischsprachigen Fälle auflistet und analysiert. Zusammengenommen bieten die beiden Websites einen umfassenden Überblick über die Schweizer Rechtsprechung im Bereich der Gleichstellung im Erwerbsleben. Dieser Überblick basiert auf den öffentlich zugänglichen Fällen und all jenen, die von den kantonalen Gleichstellungsbüros, den Gerichten und Schlichtungsstellen an die Meldestelle der Datenbank gemeldet werden. Je vollständiger die gemeldeten Informationen sind, desto umfassender ist die Datenbank.

Was sagt die Datenbank über die Situation der Gleichstellung im Erwerbsleben in der Schweiz?

Während in den ersten Jahren nach Einführung des GlG die Fallzahlen zunächst anstiegen (1997 32 Fälle, 1998 55 Fälle, 2003 sogar 76 Fälle), wurden 2010 nur 46 Fälle gemeldet. Für 2011 sind bis jetzt 25 Fälle eingegangen. Von den im Jahr 2010 aufgenommen Fällen kam die grosse Mehrheit der Entscheide von Schlichtungsstellen, wobei zwanzigmal eine Verletzung gesetzlicher Vorschriften festgestellt bzw. eine Einigung erzielt wurde. Ausserdem wurden 13 Gerichtsurteile aufgenommen. Von diesen 13 Gerichtsurteilen wurden drei nachdem ein Vergleich erzielt werden konnte abgeschrieben. In den restlichen zehn Urteilen wurde die Klage abgewiesen.

Die Mehrheit aller in der Datenbank dokumentierten Fälle betrifft Fragen der Lohngleichheit (237), gefolgt von Entschädigung (171) - zum Beispiel wegen Anstellungsdiskriminierung oder sexueller Belästigung - und diskriminierender Kündigung (160). Interessant ist, dass sich zu einigen Kantonen (Appenzell i.Rh, Glarus und Oberwallis) bis jetzt noch kein einziger Fall findet. Das GlG scheint sein Potential also immer noch nicht ausreichend zu entfalten. Erfreulich ist die grosse Anzahl von Vergleichen, die vor der Schlichtungsstelle erzielt werden konnten.

Die durch die Datenbank dokumentierte zurückhaltende Nutzung des GlG zur Einforderung der gesetzlich verankerten Gleichstellung im Erwerbsleben deckt sich mit den Erkenntnissen der Evaluation der ersten zehn Jahre des GlG, die 2006 von einer Arbeitsgemeinschaft für das Bundesamt für Justiz durchgeführt wurde. Die Evaluation nennt als einen der möglichen Gründe, weshalb wenig geklagt wird, die Angst der Betroffenen, bei einer Klage den Arbeitsplatz zu verlieren.

Fallbeispiele von menschenrechtlicher Relevanz

Die menschenrechtliche Relevanz der Datenbank wird am Beispiel verschiedener Gerichtsurteile und Entscheide von Schlichtungsstellen deutlich. Einer der prominentesten Fälle im Kontext Gleichstellung im Erwerbsleben kommt aus dem Kanton Zürich und ist von 2001. Das Gesundheitspersonal hatte eine Sammelklage wegen Lohndiskriminierung eingereicht, weil diplomierte Krankenschwestern und -pfleger bei der strukturellen Besoldungsrevision, die 1991 lohnwirksam wurde, diskriminierend beurteilt und eingestuft worden waren. Sie verglichen ihre Einstufung in einem «typischen Frauenberuf» mit der höheren Einstufung von Polizeibeamten, einem «typischen Männerberuf». Das Verwaltungsgericht Zürich entschied, dass die Einstufung beim Kriterium «Ausbildung und Erfahrung» tatsächlich diskriminierend war. Die Krankenschwestern und -pfleger wurden daraufhin um ein bis zwei Lohnklassen höher eingestuft und erhielten Lohnnachzahlungen.

Der erste Fall von sexueller Belästigung basierend auf dem GlG wurde 1998 entschieden. Zwei Hotelfachschülerinnen hatten ihren Vorgesetzten wegen verbaler und tätlicher sexueller Belästigung verklagt. Das Arbeitsgericht Zürich betrachtete die Belästigungen als erwiesen und rügte auch die Tatsache, dass das renommierte Hotel seine Schutzpflicht nicht wahrgenommen hatte und keine präventiven Massnahmen gegen sexuelle Belästigung getroffen hatte. Folglich hatte das Hotel Entschädigungen wegen sexueller Belästigung und diskriminierender Kündigung zu bezahlen sowie zusätzliche Genugtuungen.

Ein neuerer Fall mit einer besonderen menschenrechtlichen Bedeutung für die lesbisch-schwule-trans- und intersexuelle Minderheit (LGBTI) ist der Fall einer Transfrau, die gegen ihren Arbeitgeber geklagt hatte, weil dieser ihr das Führen ihres neuen Namens untersagte. Die Schlichtungsbehörde erklärte sich zuständig und nahm das Begehren an. Es wurde eine Diskriminierung aufgrund der Transidentität und damit eine Diskriminierung im Sinne von Art. 3 GlG festgestellt. Die Parteien konnten sich auf einen Vergleich einigen, so dass es nicht zu einem Verfahren vor einem ordentlichen Gericht kam.

Für die Gruppe der LGBTI ist ein solcher Fall von grundsätzlicher Bedeutung: Er zeigt, dass bei Diskriminierung im Erwerbsleben das Gleichstellungsgesetz auch aufgrund des Kriteriums Geschlechtsidentität anwendbar ist.

Der Wert der Datenbank besteht in erster Linie darin, solche wichtigen Fälle auch für die juristischen Laien verständlich aufzubereiten. Das SKMR plant, menschenrechtlich besonders relevante Fälle künftig zusätzlich in seinem Newsletter vorzustellen und die Bedeutung für die Geschlechterpolitik aufzuzeigen.

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