Artikel

Parlamentsvorlage über Massnahmen gegen Zwangsheiraten

Abstract

Autorin: Christina Hausammann

Publiziert am 06.05.2011

Bedeutung für die Praxis:

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Am 23. Februar 2011 hat der Bundesrat die Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten verabschiedet. Er schlägt Gesetzesanpassungen im ZGB, im Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht und im Partnerschaftsgesetz sowie im Ausländer- und Asylgesetz vor. Sodann sieht der Entwurf auch eine explizite Strafbestimmung im Strafgesetzbuch vor. Im Wesentlichen schlägt der Bundesrat folgende Massnahmen vor:

Zwangsheirat als qualifizierter Nötigungstatbestand

Im Strafgesetzbuch wird ein neuer Straftatbestand „Zwangsheirat, erzwungene eingetragene Partnerschaft“ vorgeschlagen (Art. 181a E-StGB): Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, eine Ehe einzugehen oder eine Partnerschaft eintragen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Strafbar wird auch, wer die Tat im Ausland begeht, falls diese auch am Begehungsort strafbar ist und er oder sie sich in der Schweiz befindet. In der Vernehmlassungsvorlage hatte sich der Bundesrat noch gegen eine spezielle Strafnorm ausgesprochen, da Zwangsheirat bereits vom Tatbestand der Nötigung (Art. 181 StGB) erfasst werde. Dieser sieht eine Strafandrohung von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Die Vernehmlassungsantworten sind in dieser Frage ebenfalls gespalten ausgefallen.

Prüfungsauftrag an die Zivilstandsämter

Im ZGB werden vorerst die Prüfungsaufgaben des Zivilstandsamt präzisiert. Bereits heute hat das Zivilstandsamt zu prüfen, ob die Ehevoraussetzungen erfüllt sind (Art. 99). Ziff. 3 der Bestimmung wird nun ergänzt mit einem Passus, der explizit darauf hinweist, dass die Prüfung miterfassen soll, «ob keine Umstände vorliegen, die erkennen lassen, dass das Gesuch offensichtlich nicht dem freien Willen der Verlobten entspricht». Stellen Zivilstandbeamtinnen oder –beamte die Ausübung von Zwang – oder das Vorliegen einer anderen Straftat – fest, sind sie verpflichtet, dies anzuzeigen (Art. 43 Abs. 3bis E-ZGB).

Zwangsheirat als unbefristeter Eheungültigkeitsgrund

Ehen, die nicht aus freiem Willen geschlossen werden, sollen neu als ungültig erklärt werden. Die Bestimmung wird unter den sog. «unbefristeten Eheungültigkeitsgründen» (Art. 105 f. ZGB) eingereiht. Damit soll sichergestellt werden, dass die Klage jederzeit und unbefristet erhoben werden kann. Sodann sind alle Behörden – Zivilstands-, Ausländer-, Strafverfolgungs-, Sozialversicherungs- und Sozialhilfebehörden – verpflichtet, soweit es sich mit ihren Aufgaben vereinbaren lässt, Meldung an die für die Klage zuständigen Behörden zu erstatten, wenn sie Anlass zur Annahme haben, dass ein Ungültigkeitsgrund vorliegt.

Die Meldepflicht wird auch im Ausländer- und Asylgesetz explizit verankert: Die Ausländer- bzw. Asylbehörden haben, wenn sich im Rahmen des Verfahrens um Familiennachzug bzw. bei der Erteilung des Familienasyls der Verdacht auf das Vorliegen eines Eheungültigkeitsgrundes – Zwangsheirat oder Ehe mit Minderjährigen – stossen, Meldung zu erstatten und die Verfahren um Bewilligung des Ehegattennachzuges zu sistieren, bis ein rechtskräftiges Urteil des Gerichts vorliegt. Die Beurteilung, ob ein Ungültigkeitsgrund vorliegt, wird also nicht von den Migrationsbehörden selber getroffen.

Verbot von Ehen mit Minderjährigen

Im Weiteren sollen Ehen mit Minderjährigen generell verboten werden: Diese sind gemäss dem neuen Art. 105 Ziff. 6 ungültig. Um Härtefälle zu vermeiden, wird eine Bestimmung eingefügt, welche Ausnahmen zulässt, sofern das Weiterbestehen der Ehe im überwiegenden Interesse des betreffenden Ehegatten liegt, z.B. weil bereits Kinder vorhanden sind oder die Volljährigkeit kurz bevor steht. Im Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (SR 291, Neufassung von Art. 44f.) werden sodann Bestimmungen zur Eheungültigkeit vorgeschlagen, welche die Anwendung der neuen Eheungültigkeitsgründe im internationalen Verhältnis sichert. Ehen mit nach schweizerischem Recht Minderjährigen, die im Ausland geschlossen worden sind, sollen nicht mehr anerkannt werden.

Bleiberecht und Rückkehrmöglichkeit

In Art. 50 AuG wird neu explizit erwähnt werden, dass Opfer von Zwangsheirat nach Auflösung der Ehe ein Bleiberecht aus "wichtigen persönlichen Gründen" in der Schweiz erhalten können. Weitergehende Forderungen hat der Bundesrat abgelehnt. Gefordert wurde insbesondere, dass Personen, die über eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfügen und ins Ausland zwangsverheiratet werden, über die im Gesetz vorgesehene Frist von in der Regel sechs Monaten (Art. 61 Abs. 2 AuG) hinaus ein Rückkehrrecht erhalten.

Kommentar: Massnahmen zur Prävention und Hilfe an die Opfer wichtig

Bereits die heutige Rechtslage sieht die Möglichkeit vor, gegen Zwangsverheiratungen vorzugehen und die Opfer zu schützen: So besteht jetzt schon eine Pflicht des Zivilstandsamtes, die Ehevoraussetzungen zu überprüfen, wie auch die Möglichkeit, Strafanzeige wegen Nötigung zu erstatten. Die Gesetzesvorlage verdeutlicht also in erster Linie den Willen, Zwangsheiraten nicht mehr länger zu dulden.

Fraglich ist, ob die Opfer von Zwangsheiraten effektiv von den jetzt vorgeschlagenen Massnahmen profitieren werden. Die Erfahrungen im Ausland zeigen, dass die Opfer in Strafverfahren in den wenigsten Fällen kooperativ sind, weil sie zwar Hilfe und Schutz vor Zwangsheirat wünschen, aber die Täter und Täterinnen, die in der Regel nahe Verwandte sind, nicht ins Gefängnis bringen wollen. Sie setzen alles daran, in irgendeiner Form die Beziehung zur Familie aufrecht zu erhalten.

Dieser Problematik wurde im Zusammenhang mit der Anwendung der Strafbestimmungen gegen häusliche Gewalt mit der Schaffung von Art. 55a StGB Rechnung getragen: Hier wurde die Möglichkeit geschaffen, bei gewissen Straftatbeständen (einfache Körperverletzung, wiederholte Tätlichkeit, Drohung und Nötigung) ein Strafverfahren einzustellen, sofern ein Ehegatte bzw. eine eingetragene Partnerin, ein eingetragener Partner oder ein Lebenspartner als Opfer darum ersucht (BG vom 3. Okt. 2003, Strafverfolgung in der Ehe und in der Partnerschaft, in Kraft seit 1. April 2004). Bezüglich des neuen Straftatbestands Zwangsheirat hat der Bundesrat diese Möglichkeit offenbar nicht in Betracht gezogen, unter anderem wohl deshalb, weil er Zwangsheirat als Verbrechen und nicht nur als Vergehen eingestuft hat.

Zwei Motionen (06.3658 – Trix Heberlein von 2006 und 09.4229 – Andy Tschümperlin von 2009) fordern den Bundesrat auf, Massnahmen für wirksame Hilfe für die Opfer von Zwangsheirat vorzusehen. Der Bundesrat kündigt in seiner Botschaft nun an, dass er in einem weiteren Schritt die Formen, das Ausmass, die Ursachen und die Verteilung von potenziell und tatsächlich von Zwangsheirat betroffenen Personen vertieft abzuklären gedenke. Aufgrund der Ergebnisse will er dann Massnahmen zur Prävention und zum Schutz vor Zwangsheiraten an die Hand nehmen.

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