Artikel

Menschenrechte als Herausforderung für die Tourismusbranche

Die Bedeutung der Multi-Stakeholder-Initiative «Roundtable Menschenrechte im Tourismus»

Abstract

Autorinnen: Anna-Katharina Burghartz, Laura Marschner

Publiziert am 11.06.2015

Bedeutung für die Praxis:

  • Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN-Leitprinzipien) erfordern die Integration und Umsetzung eines menschenrechtlichen Ansatzes im Tourismus auf nationaler wie internationaler Ebene. Hierfür müssen alle im Tourismus tätigen Akteure ihre menschenrechtliche Verantwortung wahrnehmen, obschon der Staat primärer Träger der menschenrechtlichen Verpflichtungen ist.
  • Multi-Stakeholder-Initiativen wie der «Roundtable Menschenrechte im Tourismus» können einen wichtigen Anstoss für die Erarbeitung branchenweiter Standards geben, indem sie die UN-Leitprinzipien detailliert und praxisnah in die Tourismusbranche übersetzen.
  • Der «Roundtable» unterstützt Unternehmen bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte mit einer vorformulierten Selbstverpflichtung, einem Managementleitfaden und einem Online Training.
  • Bisher ist der «Roundtable» die einzige mit Schweizer Beteiligung lancierte Multi-Stakeholder-Initiative für die Tourismusbranche. Inzwischen ist ihr nebst dem Gründungsmitglied KUONI auch der Schweizer Reise-Verband beigetreten.


Tourismus kann sich negativ auf Menschenrechte auswirken, etwa wenn die einheimische Bevölkerung der Errichtung von Hotels weichen muss, Arbeitsrechte verletzt werden oder es zur sexuellen Ausbeutung von Kindern kommt. Neben den betroffenen Staaten trifft auch Unternehmen eine Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte. Um den Inhalt dieser Verantwortung zu klären, wurde im Oktober 2012 von deutschen, österreichischen und schweizerischen Unternehmen und Vertretern/-innen der Zivilgesellschaft die Multi-Stakeholder-Initiative «Roundtable Menschenrechte im Tourismus» lanciert. Sie unterstützt die beteiligten Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Sorgfaltspflicht mit verschiedenen Instrumenten, u.a. einem Leitfaden und einem Online Training. Die Initiative basiert auf den vom UN-Menschenrechtsrat 2011 verabschiedeten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (vgl. SKMR-Newsletterbeitrag vom 6. Mai 2011).

Kernaussagen der UN-Leitprinzipien

Die UN-Leitprinzipien verpflichten zunächst primär Staaten, Sorge dafür zu tragen, dass Unternehmen Menschenrechte nicht beeinträchtigen («state duty to protect», UN-Leitprinzipien 1-10). Die staatliche Pflicht wird ergänzt durch die Verantwortlichkeit von Unternehmen, Menschenrechte zu achten («corporate responsibility to respect», UN-Leitprinzipien 11-24). Unternehmen sollen Menschenrechte als Element der corporate governance in ihre Geschäftsabläufe einfügen, was insbesondere das Erkennen und Verhindern potentieller bzw. tatsächlicher menschenrechtlicher Risiken beinhaltet. Schliesslich verlangen die UN-Leitprinzipien den Zugang zu wirksamen, gerichtlichen wie aussergerichtlichen Wiedergutmachungsmechanismen («access to remedy», UN-Leitprinzipien 25-31; vgl. zu den UN-Leitprinzipien gesamt SKMR-Newsletterbeitrag vom 6. Mai 2011). Bei den UN-Leitprinzipien handelt es sich um ein Instrument, das zwar formell nicht verbindlich ist, bei Staaten, Zivilgesellschaft und wirtschaftlichen Akteuren aber auf breite Zustimmung stösst.

Umfang betroffener Menschenrechte

Wie in allen anderen Wirtschaftssektoren können in der Tourismusbranche potentiell alle Menschenrechte, d.h. bürgerliche und politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte beeinträchtigt werden (vgl. UN-Leitprinzip 11). Bestimmte Menschenrechte sind im Tourismus jedoch einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Hierzu gehören der Schutz vor Diskriminierung, Landrechte, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf menschenwürdige Arbeit und der Schutz vor Zwangsarbeit, das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, das Recht auf Schutz der Privatsphäre sowie insbesondere auch Teilhabe- bzw. Verfahrensrechte, wie etwa die Anhörung von indigenen Völkern bei Entscheidungen über die Tourismusentwicklung in ihrer Region sowie das Recht auf gewerkschaftliche Organisation. Die Menschenrechte von Frauen, Kindern und indigenen Völker sind vielfach besonders gefährdet, was diese Gruppen von Menschen besonders verletzlich macht (vgl. dazu Alles was Recht ist - Menschenrechte und Tourismus).

Herausforderungen für die Tourismusbranche

Drei besondere Herausforderungen stehen für die Tourismusbranche im Vordergrund: die Bandbreite der beteiligten Sektoren, die unterschiedlichen involvierten Interessengruppen sowie menschenrechtlich problematische Zielorte wie etwa Post-Konflikt-Gebiete.

Komplexität der Dienstleistungen und Anbieter

Die Tourismusbranche umfasst unterschiedlichste Produkte und Dienstleistungen, bei denen ganz verschiedene Unternehmen und Sektoren (z.B. Gastronomie, Hotel oder Transport) eingebunden sind. Damit gehen komplizierte Lieferketten einher, die vom Reiseveranstalter im Entsendeland über die Fluggesellschaft bis hin zu Dienstleistungserbringern am Zielort reichen können. Die Identifikation und Einschätzung menschenrechtsrelevanter Risiken erweisen sich vor diesem Hintergrund für Tourismusunternehmen als Herausforderung und werfen Fragen zur Reichweite und Abgrenzung der menschenrechtlichen Verantwortung von Akteuren der Tourismusbranche auf.

Berücksichtigung der Interessen unterschiedlicher Stakeholder

Für die Beantwortung dieser Fragen sind die Perspektiven der verschiedenen Interessengruppen (Stakeholder) wichtig. Dazu zählen Regierungen des Entsende- sowie des Ziellandes, Unternehmen, Investoren, Touristinnen und Touristen, einzelne im Tourismus Arbeitende bzw. Angestellte und vom Tourismus betroffene Personen und Gruppen. Nicht selten besteht ein Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen und menschenrechtlichen Anliegen, etwa aufgrund des hochkompetitiven Charakters der Tourismusbranche (z.B. Billigtourismus) oder der aus dem Tourismus hervorgehenden wirtschaftlichen Vorteile für Staaten (z.B. Anziehung von ausländischen Investoren und Devisen). Mitunter sind Interessen und Bedürfnisse der Reisenden mit den Rechten der Bevölkerung im Zielgebiet nur schwer in Einklang zu bringen. So hängen Wasserknappheit und ein eingeschränkter Zugang zu Wasserressourcen vielfach mit einem hohen Wasserverbrauch des Tourismus (man denke an Golfplätze und Swimmingpools) zusammen.

Politisch, rechtlich oder wirtschaftlich instabile Zielgebiete

Politische und rechtliche Instabilität (sog. «weak governance»-Konstellationen), wie sie oftmals in Post-Konflikt-Situationen auftritt, und/oder eine wirtschaftlich instabile Lage im Zielgebiet bergen ein erhöhtes Risiko für Unternehmen, in Menschenrechtsbeeinträchtigungen involviert zu werden (vgl. dazu GFBV-Bericht Sri Lanka, Myanmar Tourism Impact Assessment und Tourism Watch, Heft Nr.78). Typisch für derartige Zielgebiete ist ein unzureichender Menschenrechtsschutz aufgrund schwacher Rechtsstaatlichkeit, fehlender Durchsetzungsmechanismen sowie fehlendem politischen Willen, den Schutz und die Förderung der Menschenrechte zu garantieren. Die Beurteilung des Risikos, Menschenrechte zu beeinträchtigen, kann sich in einer derartigen Lage als besonders schwierig für Unternehmen erweisen und bedarf besonderer Sorgfalt. So erfährt die Tourismusbranche in Burma zwar seit der graduellen Öffnung des Landes ein starkes Wachstum, was zur Arbeitsplatzschaffung beiträgt, doch birgt die aktuelle Entwicklung auch menschenrechtliche Risiken. Berichten zufolge wurden etwa Landeigentümer beim Bau sogenannter «Hotelzonen» nicht nur entschädigungslos, sondern auch ohne Möglichkeit, sich an der Entscheidfindung zu beteiligen, enteignet (siehe Myanmar Tourism, Sector Wide Impact Assessment 2015).

Eine politisch instabile oder rechtsstaatlich prekäre Situation im Zielland kann darüber hinaus die Verfolgung einer Menschenrechtsverletzung und Belangung der Verantwortlichen beeinträchtigen. Oftmals sind im Falle eines ungenügenden staatlichen Rechtsschutzes keine alternativen Rechenschaftsmechanismen vorhanden, die Zugang zu Wiedergutmachung gewähren würden. Zudem stellt ein Sachverhalt mit internationalen Dimensionen, wenn etwa ein Schweizer Reiseveranstalter in einem Post-Konflikt-Land operiert und im Zuge seiner dortigen Aktivitäten Menschenrechte beeinträchtigt, ein zusätzliches Hindernis für den Zugang der Opfer zu Durchsetzungsmechanismen und Wiedergutmachung dar.

Menschenrechtsbeeinträchtigungen in der Tourismusbranche treten allerdings auch in politisch, wirtschaftlich wie rechtlich stabilen Zielgebieten auf, wie Amnesty International Schweiz in Bezug auf die Schweizer Tourismusbranche anmahnte.

Die Entwicklung eines Menschenrechtsdiskurses in der Tourismusbranche

Während früher die Menschenrechte in den Konzepten für nachhaltigen Tourismus implizit miterfasst wurden, beschäftigen sich jüngere Initiativen wie der «Roundtable Menschenrechte im Tourismus» (vgl. unten) spezifisch mit den menschenrechtlichen Implikationen der Tourismusbranche.

Schon in den 1990er Jahren begannen verschiedene Akteure im Tourismus (u.a. Unternehmen, Staaten und die Zivilgesellschaft), sich vermehrt mit Umweltanliegen und den sozialen und ökonomischen Auswirkungen zu beschäftigen (z.B. Sorgfaltspflicht im Bereich des Verbraucherschutzes im Tourismus wie die EU-Richtlinie 90/314/EWG oder die Bewegungen für einen ökologisch und entwicklungspolitisch nachhaltigen Tourismus «Sustainable Tourism» oder «Responsible Tourism»). Der UN Global Compact, die im Jahr 2000 lancierte und weltweit grösste Multi-Stakeholder-Initiative zur Selbstregulierung von Unternehmen, war ein erster Impulsgeber für eine unternehmerische Achtungsverantwortlichkeit im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, einschliesslich im Tourismus. Ein eigentlicher Durchbruch wurde mit der Verabschiedung der UN-Leitprinzipien im Jahr 2011 erreicht, welche den Fokus auf menschenrechtliche Risiken und die damit verbundenen Sorgfaltspflichten legen (vgl. oben).

Insgesamt gibt es trotz der Grösse und Bedeutung der Tourismusbranche bislang jedoch nur wenige staatliche oder selbstregulierende Initiativen, die sich mit den menschenrechtlichen Auswirkungen der touristischen Aktivitäten und einer unternehmerischen Sorgfaltspflicht befassen.

Ein Beispiel für eine Initiative, die sich gestützt auf die UN-Leitprinzipien gezielt mit dem Schutz der Menschenrechte in der Tourismusbranche und damit einhergehend mit der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung auseinandersetzt, ist etwa die internationale Multi-Stakeholder-Initiative The Code of Conduct for The Protection of Children from Sexual Exploitation in Travel and Tourism (The Code) zum Schutz der Rechte der Kinder vor sexueller Ausbeutung. Zudem befassen sich verschiedene Nichtregierungsorganisationen (teilweise in Zusammenarbeit mit anderen Stakeholdern) mit der Thematik Tourismus und Menschenrechte, wie etwa Tourism Concern, Tourism Watch, Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung (akte) oder ECPAT.

Einen breiten Ansatz, der die Achtung der Menschenrechte neben andere ökologische und soziale Ziele stellt, strebt die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) durch den Global Code of Ethics for Tourism von 2001 zur Maximierung der sozio-ökonomischen Beiträge des Tourismus und die Minimierung der negativen Auswirkungen an. Auch das OECD Tourismus Komitee, eingesetzt für den Austausch sowie die Überwachung von politischen Massnahmen und strukturellen Veränderungen, welche den einheimischen wie internationalen Tourismus betreffen, setzt sich eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung des Tourismus zum Ziel. Weitere Initiativen sind etwa der Global Sustainable Tourism Council, welchem auch die Unternehmensinitiative Tour Operators Initiative angehört. Nichtregierungsorganisationen widmen sich zudem der Perspektive und Einflussmöglichkeit der Reisenden (vgl. Fair unterwegs, das Reiseportal von akte). Auch im Tourismus lässt sich ferner eine Tendenz zu Fair-Trade Siegeln beobachten, die von Zertifizierungsorganisationen erteilt werden, wie z.B. TourCert oder Fair Trade Tourism.

Rezeption des Themas in der Schweiz

Der «Roundtable Menschenrechte im Tourismus» (vgl. unten) ist bislang die einzige mit Schweizer Beteiligung lancierte Multi-Stakeholder-Initiative zur Selbstregulierung von Unternehmen, die sich mit einem umfassenden Spektrum an Menschenrechtsanliegen im Tourismus befasst. Bislang ist mit KUONI, einem der Mitinitianten des «Roundtable», nur ein Schweizer Reiseunternehmen Mitglied. Inwieweit der Beitritt des Schweizer Reise-Verbands (Beitritt am 14.06. 2014) Signalwirkung entfalten wird, bleibt abzuwarten. Aufseiten der Zivilgesellschaft verzeichnet der «Roundtable» mit dem Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung (akte) die aktivste Nichtregierungsorganisation in der Schweiz zum Thema Menschenrechte und Tourismus als Gründungsmitglied.

Auf internationaler Ebene hat insbesondere die Initiative The Code of Conduct for The Protection of Children from Sexual Exploitation in Travel and Tourism (The Code), die vom SECO und dem Bundesamt für Polizei fedpol unterstützt wird, bei im Tourismus tätigen Schweizer Akteuren an Bedeutung gewonnen. Sie engagiert sich für den Schutz von Kindern und die Bekämpfung von Kinderprostitution im Tourismus und konnte verschiedene Schweizer Unternehmen als Mitglieder gewinnen. Für die weltweite Etablierung von The Code waren ECPAT international und dessen Netzwerk, darunter auch ECPAT Switzerland, zusammen mit UNWTO und UNICEF primär verantwortlich. Eine weitere relevante Initiative in der Schweizer Tourismusbranche stellt TourCert dar. Aktuell (Stand Dezember 2014) sind über 80 Schweizer Tourismusunternehmen von TourCert mit dem CSR-Siegel für Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung zertifiziert. Der Global Sustainable Tourism Council konnte bisher hingegen unter den Schweizer Reiseunternehmen einzig Kuoni als Mitglied gewinnen.

Von staatlicher Seite sind in der Schweiz vereinzelt Initiativen zur indirekten bzw., impliziten Verankerung eines menschenrechtlichen Ansatzes im Tourismus feststellbar. So äussert sich das SECO etwa innerhalb seiner Tourismuspolitik zur Globalisierung des Tourismus, dass diese eine verstärkte internationale tourismuspolitische Zusammenarbeit erfordere. Hierfür engagiere sich die Schweiz auf multilateraler Ebene im Tourismuskomitee der OECD sowie in der UNWTO. Zudem bemüht sich das SECO um die Entwicklung eines wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Tourismussektors. In diesem Kontext verfasste es 2010 das Policy Paper Tourismus, in dem die Einhaltung grundlegender Arbeits- und Sozialnormen betont wurde. Im Bereich Menschenrechte und Wirtschaft allgemein setzt sich die Schweiz insbesondere als Mitgliedstaat der OECD für die Etablierung einer unternehmerischen Achtungsverantwortlichkeit ein, u.a. fördert sie durch den Nationalen Kontaktpunkt die Beachtung und Umsetzung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.

Die Multi-Stakeholder-Initiative «Roundtable Menschenrechte im Tourismus»

Die Multi-Stakeholder-Initiative «Roundtable Menschenrechte im Tourismus» wurde im Oktober 2012 von verschiedenen Tourismusunternehmen (u.a. dem Schweizer Reiseveranstalter KUONI) und Nichtregierungsorganisationen aus der Schweiz (Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung akte), Deutschland und Österreich lanciert. Die Gründungsmitglieder haben sich zum Ziel gesetzt, den Prozess einer menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung in der Tourismusbranche im Sinne der UN-Leitprinzipien, insbesondere der UN-Leitprinzipien 11-25, anzustossen. Die Mitglieder des «Roundtable» bekennen sich zur menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung im Sinne der UN-Leitprinzipien, welche eine Sorgfaltspflicht, d.h. die Pflicht, eine Risikobeurteilung in Bezug auf das Verhalten der Unternehmen und dessen Auswirkung auf die Menschenrechte vorzunehmen, umfasst. Das explizite Bekenntnis zu den UN-Leitprinzipien ist Bedingung der Mitgliedschaft.

Im Einklang mit den UN-Leitprinzipien 16-21 umfassen die weiteren Ziele der Initiative: die Erarbeitung und Bekanntmachung von Branchenstandards und eines Managementkonzepts zur menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung; die Implementierung von Menschenrechtsstandards in sämtlichen Geschäftsprozessen und Aktivitäten der Reiseunternehmen durch Bereitstellung von Informationen und Materialien; einen Wissenstransfer durch Zugang zu bewährten Praktiken («best practices») und schliesslich die Sensibilisierung der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft sowie der Politik für die Einhaltung der Menschenrechte im Tourismus. Zusammen mit den Gründungsmitgliedern kann der Roundtable heute zwanzig Mitglieder aus Österreich, Deutschland und der Schweiz verzeichnen. Dazu gehören sechs Reiseunternehmen und der Schweizerische sowie der Österreichische Reise-Verband sowie Stakeholder aus der Zivilgesellschaft und der Politik.

Instrumentarien des Roundtable

Bislang erarbeitete der «Roundtable» drei verschiedene Instrumentarien, um Unternehmen in einer menschenrechtsbezogenen Unternehmenskultur zu unterstützen: eine vorformulierte Selbstverpflichtung («Commitment»), ein Managementleitfaden und ein Online Training.

Selbstverpflichtung

Das Commitment ist eine Selbstverpflichtung des jeweiligen Unternehmens, die Menschenrechte, welche von den unternehmerischen Aktivitäten entlang der Lieferkette betroffen sind bzw. sein können (vgl. UN-Leitprinzipien, Prinzip 16), zu achten. Die vorformulierte Selbstverpflichtung soll als Orientierungshilfe dienen und die Grundlage des Konkretisierungs- und Umsetzungsprozesses der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung bilden. Mit der Unterzeichnung erklären sich die Unternehmen an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie an den UN-Bürgerrechtspakt und den UN-Sozialrechtspakt gebunden (vgl. UN-Leitprinzipien, Prinzip 12). Um als Mitglied aufgenommen zu werden, müssen neben Unternehmen auch alle Interessenten aus Politik und Zivilgesellschaft das Commitment unterzeichnen und sich zu den Zielen des Roundtable bekennen.

Menschenrechtsstrategie

Ergänzend zum allgemein formulierten Commitment bedarf es einer unternehmensspezifischen Menschenrechtsstrategie jedes beigetretenen Unternehmens. Dafür hat der Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung (akte) mit anderen Mitgliedern des Roundtables einen Managementleitfaden herausgegeben, der mit Graphiken, Checklisten und exemplarischen Darstellungen die Unternehmen in diesem Prozess konkret anleiten und unterstützen soll.

In Aufbau und Inhalt deckt sich der Leitfaden mit den für die Unternehmen relevanten UN-Leitprinzipien (Prinzipien 11-24, 29-31) und macht fünf Schwerpunktthemen aus.

  • Strategie: Das Unternehmen soll eine Menschenrechtsstrategie, welche den Handlungsrahmen, die Zielsetzung und eine Selbstverpflichtung enthält, entwerfen.
  • Bestandsaufnahme: Die unternehmerischen Aktivitäten sind auf potentielle wie tatsächliche Risiken für negative Auswirkungen auf Menschenrechte zu analysieren.
  • Integration: Sowohl die Strategie als auch die Ergebnisse der Risikoanalyse sind in der Unternehmenskultur und im Management wie auch bei der Schaffung unternehmensinterner Beschwerde- und Abhilfemechanismen zu berücksichtigen. Als Referenzrahmen soll ein menschenrechtlicher Aktionsplan erarbeitet werden.
  • Abhilfe: Potentielle wie tatsächliche Menschenrechtsbeeinträchtigungen, die identifiziert wurden, sollen verhindert bzw. beendet und behoben werden. Betroffene sollen sich dabei auch an unternehmensinterne Beschwerde- und Meldeverfahren richten können.
  • Reporting: Schliesslich muss das Unternehmen regelmässig eine Fortschrittskontrolle (d.h. Messung der Wirksamkeit und des Erfolges sowie öffentliche Berichterstattung) durchführen, um eine dauerhafte, wirksame und erfolgreiche Verankerung der menschenrechtlichen Achtungsverantwortung garantieren zu können.

Online-Training

Das Online Training unterstützt unternehmensinterne Bildungsmassnahmen zu Menschenrechten und fördert somit die Integrierung der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung im gesamten Unternehmen. Es umfasst einen Einstiegskurs, der einen ersten Einblick in die Thematik Tourismus und Menschenrechte und deren Spannungsfelder vermitteln soll, und einen Vertiefungskurs für Fach- und Führungskräfte, welcher Commitment und Leitfaden vertieft behandelt und illustriert.

Eine erste Einschätzung zum «Roundtable»

Die Multi-Stakeholder-Initiative ist eine der wenigen Initiativen, die speziell auf die Thematiken der Menschenrechte im Tourismus und der unternehmerischen Sorgfaltspflicht eingehen. Sie ist im Hinblick auf die notwendige sektorspezifische Umsetzung der UN-Leitprinzipien zu begrüssen. Der weit gefasste Initiantenkreis umfasst die relevanten Stakeholder, so dass deren Perspektive eingebracht wird. Gleichwohl können die bisherigen von der Initiative erarbeiteten Instrumentarien nur einen Anfang darstellen. Weitere, teilweise in den einzelnen Unternehmen umzusetzende Arbeiten sind notwendig, etwa zur Risikoanalyse in Lieferketten oder zum Zugang zu Wiedergutmachtungsmechanismen. Es ist Aufgabe der beigetretenen Unternehmen, die allgemein gehaltenen Prinzipien des «Roundtable» in praxistaugliche Handlungsanweisungen und Strategien zu übersetzen, zum Beispiel im Falle einer problematischen Lieferkette.

Diversität der Branche als Schwierigkeit

Der «Roundtable» konzentriert sich auf die Unternehmen und deren menschenrechtliche Verantwortung, ohne die Rolle und Bedeutung anderer Stakeholder in der Tourismusbranche zu verkennen. Dies illustriert unter anderem der vom «Roundtable» verfolgte Multi-Stakeholder-Ansatz. Allerdings wird die Initiative der Diversität der im Tourismus involvierten Unternehmen (noch) nicht voll umfänglich gerecht. Zum einen sind einige namhafte, grosse Reiseveranstalter bislang keine Mitglieder. Ausserdem ist die Tourismusbranche, u.a. in der Schweiz, auch geprägt von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), welche ebenso Menschenrechtsbeeinträchtigungen verursachen bzw. dazu beitragen können. So wäre es sinnvoll, spezifisch auf die Gefahren und Herausforderungen einzugehen, die sich insbesondere für KMU ergeben (vgl. zur Situation von KMU im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte beispielhaft die Ausführungen des Leitfadens der europäischen Kommission zu KMU).

Allgemein lässt sich feststellen, wie schwierig es ist, branchenweite Standards im Tourismus zu etablieren. Dies galt bisher auch für den «Roundtable», welcher sich einen branchenweiten Einfluss erhofft. Der Beitritt der Tourismusmesse Berlin, der weltweit grössten Reisemesse, im Jahre 2014 ist vor diesem Hintergrund als positives Signal zu werten und könnte die Internationalisierung der Initiative vorantreiben.

Wichtig wäre zudem, verstärkt für das Risiko von negativen Wirkungen des Tourismus auf die Menschenrechte nicht nur ausserhalb, sondern auch innerhalb Europas zu sensibilisieren. Denn auch in der Schweiz und im übrigen Europa kann es zu Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch den Tourismus kommen, etwa im Kontext prekärer Arbeitsverhältnisse, bei der Beförderung sowie Unterbringung von Reisenden oder der Beteiligung Betroffener bei einschneidenden Infrastrukturprojekten, die dem Tourismus zu Gute kommen.

Zugang zu Abhilfe und Wiedergutmachung

Der Zugang zu Wiedergutmachungsmechanismen in der Tourismusbranche, gerade auch durch Unternehmen («operational-level grievance mechanisms»), bedarf weiterer Ausgestaltung und stand bisher noch weniger im Fokus des «Roundtable». Die Initiative erwähnt die Notwendigkeit von Wiedergutmachungsmechanismen und deren Bedeutung sowohl für die von Menschenrechtsbeeinträchtigungen Betroffenen als auch für die Wirksamkeit der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung. Auch der Managementleitfaden thematisiert den Zugang zu Wiedergutmachung und Abhilfe, jedoch bislang in vergleichsweisse knapper Weise. Wünschenswert wären im weiteren Prozess somit weitere praxisnahe Anleitungen und eine auf die Branche konkretisierte Unterstützung durch den «Roundtable».

Fazit

Die Multi-Stakeholder-Initiative «Roundtable Menschenrechte im Tourismus» konzentriert sich insbesondere auf die Verantwortung von Tourismusunternehmen, einerseits die Menschenrechte in allen Unternehmensaktivitäten zu achten und andererseits Verantwortung für deren negative Auswirkungen auf Menschenrechte zu übernehmen. Die Initiative hat das Potenzial, die Integration eines menschenrechtlichen Ansatzes in Tourismusunternehmen und der Tourismusbranche anzustossen. Sie unterstützt Unternehmen, die Menschenrechte in ihre Unternehmenskultur aufnehmen und ihrer Achtungsverantwortlichkeit gerecht werden möchten.

Die Initiative spiegelt in dieser Hinsicht den gegenwärtigen Diskussionsstand zur menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung in der Tourismusbranche wider. Denn die Etablierung eines menschenrechtlichen Ansatzes im Tourismus steht noch am Anfang und bis heute kann nicht von einer (branchenweiten) Verankerung gesprochen werden. Auf die Bemühungen der Schweiz im Bereich Tourismus und Menschenrechte trifft dies ebenfalls zu. Obwohl verschiedene positive Entwicklungen beobachtet werden können, wären auf Seiten der Unternehmen und des Staates weitergehende Bestrebungen hin zur Verankerung eines menschenrechtlichen Ansatzes im Schweizer Tourismussektor wünschenswert.

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