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Leitlinien des Sonderberichterstatters für Menschenrechte und Unternehmen

Abschlussbericht zuhanden des UNO– Menschenrechtsrats

Publiziert am 06.05.2011

Bedeutung für die Praxis:

  • Instrument für die Bestimmung der menschenrechtlichen Verantwortung von Schweizer Unternehmen

Am 24. März 2011 legte der Sonderbeauftragte für Menschenrechte und transnationale Unternehmen, John Ruggie, seinen Abschlussbericht zuhanden des UNO– Menschenrechtsrates vor. In diesem werden Leitlinien – sogenannte „Guiding Principles“ – aufgezeigt, welche das 2008 präsentierte und vom Menschenrechtsrat akzeptierte „Protect, respect and remedy“ – Konzept für die Anwendung durch Unternehmen und Staaten konkretisieren. Der Bericht ist das Ergebnis eines längeren und intensiven Konsultationsprozesses, in dem interessierte Kreise aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ihre Anliegen einbringen konnten. Der Menschenrechtsrat wird den Bericht in seiner 17. Session anfangs Juni behandeln. Es wird erwartet, dass er den Leitlinien zustimmen wird.

Inhalt und Ziel der Leitlinien

Nachdem alle Bestrebungen innerhalb der UNO, verbindliche Normen für die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen zu schaffen, gescheitert waren, konzentrierte sich Ruggie darauf, ein Instrument zu entwickeln, um Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen zu erkennen und zu verhindern. Das von ihm geschaffene Konzept beruht auf drei Säulen: Erstens sind Staaten verpflichtet, aktiv dafür zu sorgen, dass Unternehmen den Schutz der Menschenrechte nicht beeinträchtigen („state duty to protect“). Das zweite Element, die „corporate responsibility to respect“, richtet sich an Unternehmen und hält sie an, den Schutz der Menschenrechte zum Bestandteil ihrer Unternehmenskultur und corporate governance zu machen und sie in die eigenen Geschäftsabläufe zu integrieren. Schliesslich befasst sich die dritte Säule mit den Opfern von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen, indem sie wirksame Mechanismen zur Wiedergutmachung und Streitbeilegung fordert („access to remedy“). Bei den nun vorliegenden Leitlinien handelt es sich um konkrete, detaillierte Empfehlungen zur Umsetzung dieser drei Säulen.

Bedeutung der Ruggie-Guidelines

Auch eine Zustimmung des Menschenrechtsrates zu den Richtlinien ändert nichts daran, dass diese Bestimmungen rechtlich nicht verbindlich sind. Trotzdem wäre es falsch, daraus den Schluss zu ziehen, sie seien unbedeutend. Im Gegenteil: Die Richtlinien stossen bereits heute auf eine breite Akzeptanz in Wirtschaft und Politik. Beim Lesen der Richtlinien fällt auf, dass eine im Menschenrechtsbereich ungewohnte Sprache verwendet wird. Ruggie spricht zum Beispiel von „due diligence“, auch werden die Menschenrechtsverletzungen als unternehmerisches „Risiko“ etwa in Bezug auf rechtliche Konsequenzen, Reputationsschäden, operationelle Schwierigkeiten und die Sicherheit von Unternehmen und Mitarbeitenden bezeichnet. Mit dieser Übersetzung von menschenrechtlichen Themen in eine wirtschaftsnahe Sprache ist es erstmals gelungen, im Rahmen der UNO wichtige Akteure aus der Privatwirtschaft für den Schutz der Menschenrechte zu gewinnen.

Das „protect, respect and remedy“ – Konzept und die damit verbundenen Richtlinien sind allerdings nicht das Ziel, sondern vielmehr der Anfang einer Reise, die von allen Beteiligten – Staaten und Unternehmen – noch viel Umsetzungsarbeit erfordert.

Neben der Zustimmung zu den Guiding Principles muss auch geklärt werden, was nach Ablauf des Mandats von John Ruggie im Juni 2011 geschehen soll, damit der angelaufene Prozess nicht ins Stocken gerät. Ruggie hat dazu im Februar 2011 Empfehlungen zuhanden des Menschenrechtsrats formuliert (Recommendations on follow-up to the mandate vom 11. Februar 2011). Auf institutioneller Ebene schlägt er u.a. die Schaffung eines „multi-stakeholder steering committee“ vor, das für eine kohärente Einbettung der Guiding Principles in existierende Mechanismen verantwortlich sein soll. Inhaltlich müssen verschiedene menschenrechtliche Pflichten von Unternehmen und Ansprüche von Opfern geklärt werden, um eine konsistente Anwendung über Landes- und Rechtsprechungsgrenzen hinaus sicherzustellen.

Parallele Entwicklungen

Mit der Frage des Zusammenspiels von Menschenrechten und unternehmerischen Tätigkeiten haben sich neben dem Sonderbeauftragten John Ruggie in jüngster Zeit auch noch andere Akteure auseinandergesetzt, namentlich die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie die Internationale Finanz-Korporation (IFC).

Die OECD revidiert derzeit ihre Richtlinien für multinationale Unternehmen von 2000; der Abschluss der Arbeiten ist für Sommer/Herbst 2011 geplant. Der aktuelle Entwurf sieht ein umfassendes Menschenrechtskapitel als integralen Bestandteil der Richtlinien vor und orientiert sich stark an den Arbeiten von Ruggie. Eine ausführliche Beschreibung der Revision folgt im nächsten SKMR-Newsletter.

Auch die IFC, eine Organisation, die zur Weltbankgruppe gehört und Investitionen in Entwicklungsregionen auf der ganzen Welt fördert, befasst sich mit der Revision ihres Regelwerks zur Nachhaltigkeit (Sustainability Framework). Diese Bestimmungen sind zwar nicht bindendes Recht, Unternehmen müssen sie aber einhalten, wenn sie von der IFC finanzielle Unterstützung erhalten wollen. Der nach drei breiten Konsultationen revidierte Entwurf baut auf einer menschenrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen im Sinne des Ruggie-Konzepts auf und wird am 12. Mai 2011 dem Board der IFC vorgelegt.

Bedeutung für die Schweiz

Für die Schweiz sind diese Entwicklungen aus mehreren Gründen von Bedeutung:

Zum einen ist sie als Vertragspartei zahlreicher Menschenrechtsabkommen an die horizontale Verpflichtung zum Schutz der Menschenrechte gegen Eingriffe Privater, die „duty to protect“, gebunden. Diese bestehenden Verpflichtungen werden durch die erwähnten neuen Instrumente, insbesondere die Richtlinien von Ruggie, für den Wirtschaftsbereich konkretisiert. Das schweizerische Recht kennt heute nur punktuell menschenrechtliche Pflichten für Unternehmen, etwa im Arbeitsgesetz zum Schutz der Arbeitnehmenden oder im Strafgesetzbuch mit dem Verbot des Menschenhandels. Ein umfassendes, rechtlich verbindliches Konzept für eine menschenrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen, das sich verfassungsrechtlich an Art. 35 Abs. 3 BV anknüpfen liesse, fehlt.

Zudem ist die Schweiz als kleine offene Volkswirtschaft international stark vernetzt und damit menschenrechtlich besonders exponiert. Nicht nur multinationale Grossunternehmen, sondern auch viele KMUs sind mit schwierigen menschenrechtlichen Fragestellungen konfrontiert, sei es durch Geschäftstätigkeit im Ausland, Investitionen im Ausland oder ausländische Arbeitskräfte. Die Ruggie-Prinzipien verhindern mögliche Konflikte zwischen Menschenrechten und Geschäftstätigkeit nicht, sondern sie bieten Leitlinien für die Abwägung zwischen Menschenrechten und wirtschaftlichen Interessen und umschreiben die Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines ethischen Minimalstandards. Damit geben sie eine Antwort auf die praktischen Bedürfnisse von Wirtschaft und Staaten im Umgang mit dem Dilemma „Menschenrechte oder Geschäft?“

Trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit können die Leitlinien als „soft law“ auch von Gerichten beigezogen werden, wie dies das Bundesgericht heute schon bei der Interessenabwägung oder der Konkretisierung von Sorgfaltspflichten praktiziert (vgl. BGE 136 IV 97 (Rappaz) 112).

Verschiedene Schweizer Unternehmen sind massgeblich an der Entwicklung des Ruggie-Konzepts beteiligt und zählen weltweit zu den führenden Akteuren in diesem Bereich. Sie müssen sich die Frage stellen, ob sie diese Führungsrolle beibehalten und die Umsetzung ihrer menschenrechtlichen Verantwortung aktiv mitgestalten oder auf staatliche Regulierungen warten wollen; aufzuhalten ist die Entwicklung nicht mehr.

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