Artikel

UNO-Konvention zu Wirtschaft und Menschenrechten

Analyse des zweiten Entwurfs vom 16. Juli 2019

Abstract

Die UNO erarbeitet eine neue Konvention im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Zum ersten Mal sollen die menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen verbindlich reguliert werden. Das SKMR hat den zweiten Entwurf der Konvention analysiert. Im Zentrum stehen dabei die Sorgfaltspflicht und die Haftung für Menschenrechtsbeeinträchtigungen, die von Unternehmen begangen wurden. Allerdings lässt der Entwurf noch viele Fragen offen.

Autorinnen: Sabrina Ghielmini, Patricia Soltani

Publiziert am 24.09.2019

Erster Entwurf, Juli 2018

Im Jahr 2014 schuf der UNO-Menschenrechtsrat die Open-ended Intergovernmental Working Group on Transnational Corporations and other Business Enterprises (OEIGWG). Die Arbeitsgruppe erhielt den Auftrag, ein internationales, verbindliches menschenrechtliches Instrument zur Regulierung der Aktivitäten von Unternehmen zu erarbeiten. Seit 2015 fanden vier Sessionen der OEIGWG statt. Während sich die ersten drei mit grundsätzlichen Fragen rund um das zu erarbeitende Instrument befassten, wurde in der vierten Session schliesslich ein erster Entwurf der Konvention präsentiert und diskutiert (der sogenannte Zero Draft).

Der erste Entwurf formulierte, entsprechend seiner Natur als völkerrechtlicher Vertrag, verbindliche Pflichten für Staaten. Diese beziehen sich inhaltlich nicht nur auf staatliche Handlungen, sondern auch auf wirtschaftliche Aktivitäten von Unternehmen und deren Verantwortung zur Respektierung der Menschenrechte. Kernstück des ersten Konventionsentwurfs war zum einen die Verpflichtung der Staaten, auf gesetzlicher Ebene eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen einzuführen. Zum andern möchte der Entwurf die Staaten verpflichten, für die rechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen im Falle von Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen zu sorgen und den Zugang zu Wiedergutmachung für Opfer von entsprechenden Menschenrechtsbeeinträchtigungen zu erleichtern.

Die erste rechtlich verbindliche Regulierung

Die geplante neue Konvention stellt im Gebiet Wirtschaft und Menschenrechte einen Paradigmenwechsel dar: Sie wäre das erste rechtlich verbindliche Instrument zur Regulierung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen.

So enthalten die weithin anerkannten UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen keine rechtsverbindlichen Pflichten für Unternehmen. Stattdessen setzen sie auf formell nicht verbindliche Erwartungen der Staaten an Unternehmen und deren Eigenverantwortung. Entsprechend wurde der erste Entwurf für eine verbindliche Konvention von Staaten, Zivilgesellschaft, Unternehmen und Wissenschaft eingehend diskutiert und kommentiert. Die einzelnen Positionen gingen dabei weit auseinander: Einige Akteure wünschten sich eine umfassende und detaillierte Regelung einer Unternehmenshaftung innerhalb dieses Vertrages, andere forderten Zurückhaltung und Rücksicht auf das bestehende internationale Normengefüge.

Strittige Punkte: Geltungsbereich, Sorgfaltspflicht und Haftung

In der Diskussion des ersten Entwurfs haben sich die folgenden Punkte als besonders kontrovers erwiesen:

  • Persönlicher Geltungsbereich der Konvention: Dieser wurde auf Unternehmen beschränkt, die transnational tätig sind (Art. 3 Abs. 1 Zero Draft). Unternehmen, die nur in einem Staat tätig sind, wurden also nicht erfasst;
  • Materieller Geltungsbereich der Konvention: Dem Wortlaut nach sollte der materielle Geltungsbereich sowohl alle internationalen Menschenrechte erfassen als auch die Menschenrechte, die in den jeweiligen Ländern gewährleistet sind (Art. 3 Abs. 2 Zero Draft). Umstritten war aber, auf welche Menschenrechte konkret Bezug genommen wird; Ausserdem bezog sich der Entwurf immer wieder auf umweltrechtliche Normen, obwohl nicht abschliessend geklärt ist, in welchem Verhältnis diese zu den Menschenrechten stehen (vgl. z.B. Art. 4 Abs.1 Zero Draft);
  • Inhalt und Umfang der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht sowie der Haftung, insbesondere in Bezug auf die Beteiligungsformen (Art. 9 Abs. 2 und Abs. 5 sowie Art. 10 Abs. 6 Zero Draft): Die Terminologie bei der Umschreibung dieser Kernelemente wurde als zu wenig eindeutig befunden. Für mehr Klarheit wurde eine sprachliche und inhaltliche Angleichung an die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gefordert;
  • Vereinbarkeit mit multilateralen Handelsabkommen: Einige Akteurinnen kritisierten, der Entwurf würde die Menschenrechte über das Wirtschaftsvölkerrecht stellen, wenn die Konvention in alle zukünftigen wirtschaftlichen Abkommen einbezogen werden müsste (Art. 13 Abs. 6 und Abs. 7 Zero Draft).

Das SKMR hat den ersten Entwurf der Konvention in seinem Analysepapier vom 31. Oktober 2018 bereits ausführlich besprochen.

Zweiter Entwurf, Juli 2019: Sorgfaltspflicht und Haftung der Unternehmen im Zentrum

Auf der Grundlage der Diskussionen über den ersten Entwurf wurde am 16. Juli 2019 eine überarbeitete Version veröffentlicht, der sogenannte Revised Draft. Dieser zweite Entwurf ist im Vergleich zum ersten in Aufbau und Sprache umgestellt und weiterentwickelt worden, doch hat sich an seinem Inhalt im Kern wenig geändert. Primäres Ziel des Entwurfs bleibt weiterhin die Verpflichtung von Staaten, in ihren nationalen Rechtssystemen eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen sowie eine Haftungsgrundlage für Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen einzuführen. Diese Punkte werden im Folgenden genauer erläutert.

Prävention durch umfassende Sorgfaltspflicht

Gemäss dem neuen Entwurf müssen Staaten alle Unternehmen verpflichten, Menschenrechte zu respektieren und Menschenrechtsbeeinträchtigungen zu verhindern. Hierzu sollen die Staaten die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht ("due diligence") gesetzlich verankern und deren Implementierung überwachen. Die Sorgfaltspflicht soll diverse Massnahmen seitens der Unternehmen umfassen: die Identifizierung und Beobachtung von möglichen Risikofaktoren entlang der ganzen Produktionskette, die Verhinderung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch konkrete Gegenmassnahmen sowie auch die regelmässige Information über die Resultate dieses Evaluationsprozesses gegenüber allen betroffenen Personengruppen. Die Sorgfaltspflicht soll grundsätzlich unabhängig von der Grösse und Art eines Unternehmens bestehen. Der Zero Draft sah noch explizit die Möglichkeit vor, kleine und mittlere Unternehmen von der gesetzlichen Regelung auszunehmen. Demgegenüber erwähnt der Revised Draft nur noch mögliche Anreize und andere Massnahmen, die kleineren Unternehmen die Umsetzung erleichtern sollen (Art. 5 Ziff. 6 Revised Draft).

Menschenrechtsbeeinträchtigung oder Menschenrechtsverletzung?
Der Begriff "Menschenrechtsbeeinträchtigung" stammt aus den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) von 2011. Die Leitprinzipien unterscheiden zwischen Menschenrechtsverletzungen (human rights violations), die durch Staaten begangen werden, und Menschenrechtsbeeinträchtigungen (human rights abuses), die durch Unternehmen und andere nicht-staatliche Akteure begangen werden. Die Unterscheidung soll deutlich machen, dass aus völkerrechtlicher Sicht nur Staaten Adressaten von menschenrechtlichen Normen sein können. Um die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Unternehmen zu betonen, verwendet der zweite Entwurf zur Konvention zu Wirtschaft und Menschenrechten beide Begriffe parallel.


Der Abschnitt über die Sorgfaltspflicht der Unternehmen wurde im Vergleich zur Vorversion sprachlich an die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte angeglichen. In einem entscheidenden Punkt geht die Konvention aber weiter als die UN-Leitprinzipien: Beim Umfang der Sorgfaltspflicht. Die Konvention unterscheidet nicht, ob ein Unternehmen selbst die Menschenrechte verletzt oder ob die Menschenrechtsbeeinträchtigungen im Rahmen von Geschäftsbeziehungen begangen werden, also beispielsweise durch eine Zulieferfirma. Das Ausmass der Sorgfaltspflicht des Unternehmens soll also nicht von Nähe und Bezug des Unternehmens zu fraglichen Menschenrechtsbeeinträchtigungen abhängen (Art. 5 Ziff. 2 Revised Draft).

Unternehmen haften auch bei indirekter Beteiligung an Menschenrechtsbeeinträchtigungen

Die Staaten sollen eine Rechtsgrundlage für die Ahndung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Unternehmen (Art. 6 Abs. 1 Revised Draft) sowie einen Wiedergutmachungsmechanismus für Opfer schaffen. Die Haftung soll folgendermassen ausgestaltet sein: Wie bei der Sorgfaltspflicht wird nicht unterschieden, ob ein Unternehmen selbst oder eine Partnerfirma eine Menschenrechtsbeeinträchtigung begeht. Ein Unternehmen ist demnach immer dann zur Verantwortung zu ziehen, wenn es eine Menschenrechtsbeeinträchtigung nicht verhindert, obwohl es über ausreichende Kontrolle oder Aufsicht über den relevanten Ereignishergang verfügte, respektive eine solche Menschenrechtsbeeinträchtigung vorhersehbar war oder hätte sein sollen (Art. 6 Abs. 6 Revised Draft).

Ein Katalog von Straftaten

Zusätzlich führt der zweite Entwurf einen Katalog von Straftaten ein (Art. 6 Abs. 7 Revised Draft), die ebenfalls zur direkten Haftung von Unternehmen führen sollen. Bereits im ersten Entwurf war die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen im Zusammenhang mit "internationalen Verbrechen" vorgesehen. Nachdem die Unbestimmtheit dieser Formulierung vielfach bemängelt worden war, sind diese Verbrechen im zweiten Entwurf abschliessend aufgelistet. Darunter finden sich beispielsweise die im Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs aufgelisteten Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord. Während unter dem Römer Statut jedoch nur Einzelpersonen ("natürliche Personen"; vgl. Art. 25 Römer Statut) zur Verantwortung gezogen werden können, will der Konventionsentwurf die strafrechtliche (oder auch zivilrechtliche) Verfolgung von Unternehmen ermöglichen.

Geltung für alle Unternehmen, nicht nur transnationale

Eine grundlegende Änderung gegenüber dem ersten Entwurf ist, dass die Konvention nunmehr nicht nur für Unternehmen mit transnationalen Aktivitäten gelten soll, sondern grundsätzlich für alle Unternehmen (Art. 1 Revised Draft).

Ein anderer umstrittener Aspekt wurde fallen gelassen: Die Konvention beansprucht keinen Vorrang der Menschenrechte vor dem Wirtschaftsvölkerrecht mehr. Stattdessen verlangt sie in einer abgeschwächten Formulierung die Kompatibilität zwischen den beiden Rechtsbereichen. (Art. 12 Abs. 6 Revised Draft).

Rahmenabkommen oder direkt anwendbare Regelung?

Gegenüber dem ersten Entwurf von 2018 hat der Revised Draft an Klarheit gewonnen. Die Interessen der beteiligten Akteurinnen und Akteure divergieren allerdings nach wie vor. Somit bleibt die Frage offen, ob ein Rahmenabkommen mit einem Umsetzungsauftrag für das nationale Recht oder eine direkt anwendbare Regelung angestrebt wird. Bislang fehlt ein solcher Grundsatzentscheid, und die Konvention enthält Elemente beider Ansätze. Dies geht zu Lasten einer einheitlichen und klaren Struktur.

Umfassende Haftung als möglicher Stolperstein

Für die Praxis und die weiteren Diskussionen dürfte sich vor allem als schwierig erweisen, dass der Entwurf bei der Haftung nicht zwischen verschiedenen Beteiligungsformen unterscheidet. Gemäss dem aktuellen Text soll die rechtliche Verantwortung für ein Unternehmen entlang seiner Produktionskette respektive in seiner gesamten Einflusssphäre gelten. Sie soll bei eigenen Handlungen wie auch bei vertraglichen Beziehungen ("contractual relationships") zur Anwendung kommen. Die konkreten Auswirkungen einer solchen Erweiterung sind unklar. Will die Konvention den Anspruch erheben, die Voraussetzungen für die rechtliche Verantwortung von Unternehmen abschliessend zu regeln, ist eine eindeutige und überschaubare Definition der einzelnen Elemente unabdingbar. Die Rechtssicherheit ist nur gewährleistet, wenn Staaten, Unternehmen oder Opfer von Menschenrechtsbeeinträchtigungen die Bestimmungen der Konvention nachvollziehen und deren Inhalt erfassen können.

Der zweite Entwurf wird anlässlich der 5. Session der OEIGWG im Oktober 2019 diskutiert werden. Dann wird sich zeigen, ob die Arbeitsgruppe mit ihrem Vorschlag einem international akzeptablen Kompromiss einen Schritt nähergekommen ist.

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