Artikel

Der Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative

Seine Tücken für Schweizer Unternehmen

Abstract

Der seit 1. Januar 2022 geltende Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungs­initiative nimmt Schweizer Unternehmen weniger stark in die Verantwortung als die Initiative. In der Anwendung weist der Gegenvorschlag jedoch Tücken auf und stellt Unternehmen bei der Prüfung der Sorgfaltspflicht vor zahlreiche Fragen. Um den Wettbewerb nicht zu verzerren, ist die Schweizer Regelung unter Berücksichtigung des EU-Rechts und internationalen Standards auszulegen.
.
Autor: Remo Messerli

Publiziert am 04.08.2022

Am 29. November 2020 wurde die Volksinitiative "Für verantwortungsvolle Unternehmen" an der Urne abgelehnt. Im Dezember 2021 beschloss der Bundesrat die Inkraftsetzung des Gegenvorschlags mit der entsprechenden Revision des Obligationenrechts (OR) und erliess mit der dazugehörigen Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (VSoTr, SR 221.433) entsprechende Ausführungsbestimmungen. Gleichzeitig veröffentlichte er den erläuternden Bericht zur VSoTr.

Grundzüge der neuen Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten

Konkret sind neue Bestimmungen im Obligationenrecht (Art. 964a ff. OR) und im Strafrecht (Art. 325ter StGB) formuliert worden. Unter anderem sind die Sorgfaltspflichten sowie die Berichterstattungspflicht in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien strenger geregelt. Zum einen gelten die Pflichten für Unternehmen, welche bestimmte Mineralien oder Metalle aus Konflikt- oder Hochrisikogebieten entweder in die Schweiz überführen oder in der Schweiz bearbeiten. Zum anderen richten sie sich an Unternehmen, welche Produkte und Dienstleistungen anbieten, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt oder erbracht werden (Art. 964j Abs. 1 OR). Sie beziehen sich auf die gesamte Lieferkette des Unternehmens.

Die Pflichten sind als sog. Bemühens- und nicht als Erfolgspflichten zu verstehen. Das bedeutet, dass ein Unternehmen mit aller Sorgfalt handeln muss, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen (Best-Effort-Ansatz). Ein Resultat im Sinne eines Erfolgs wird nicht verlangt.

Kinderarbeit in der Lieferkette: Betrifft mich das als Unternehmen?

So ist es insbesondere der Anwendungsbereich der Sorgfaltspflichten bezüglich Kinderarbeit und Konfliktmineralien, der Unternehmen vor grosse Herausforderungen stellt. Denn in der Praxis erweisen sich Gesetzes- und Verordnungstext als wenig griffig. Der Erläuternde Bericht des Bundesrats ist ebenfalls nur beschränkt hilfreich. Es besteht akuter Klärungsbedarf. Denn, auch wenn die neue Gesetzgebung keine zivilrechtliche Haftung vorsieht, riskiert das Unternehmen bei Missachtung strafrechtliche Konsequenzen sowie Reputationsschäden.

Die Verwirrungen reichen von begrifflichen Schwierigkeiten bis hin zur möglichen Erkenntnis, dass bei der Prüfung des Anwendungsbereichs eine inhaltliche Prüfung notwendig werden kann, welche eigentlich erst dann greifen sollte, wenn das Unternehmen tatsächlich unter die Sorgfaltspflicht fällt.

Auf welche Schwierigkeiten Unternehmen stossen, lässt sich anhand eines fiktiven Beispiels erläutern.

Europa schreitet voran, die Schweiz müsste nachziehen

Auch in Europa schreitet man voran. So hat die Europäische Kommission am 23. Februar 2022 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen angenommen. Der Vorschlag gilt nicht nur für die Unternehmen selbst, sondern auch für ihre Tochtergesellschaften und die gesamte Wertschöpfungskette. Schweizer Unternehmen mit wirtschaftlichen Beziehungen zum Europäischen Markt wären damit ebenfalls betroffen.

Es gefährdet den Schweizer Binnenwettbewerb, wenn EU-orientierte Unternehmen aus der Schweiz strengeren Vorschriften unterliegen als die hiesige Konkurrenz ohne Auslandstätigkeiten. Die Schweizer Regelung berücksichtigt gemäss dem Erläuternden Bericht des Bundesrates bereits EU-Recht und internationale Standards. Das muss auch in der Praxis sichtbar werden: Die Auslegung der entsprechenden Bestimmungen im Schweizer Recht müssen EU-konform erfolgen. Es sind Best Practices im Umgang mit internationalen Standards herbeizuziehen. Damit wird eine kohärente Anwendung international etablierter Standards sichergestellt, was sowohl im Hinblick auf den Zweck der Schweizer Regelung als auch aus Sicht von Unternehmen zentral ist.

^ Zurück zum Seitenanfang