Artikel

Geschlechterquoten im Erwerbsleben

Rechtliche Grundlagen für die Förderung der Geschlechtergleichheit in Führungspositionen

Abstract

Autorin: Irene Grohsmann

Publiziert am 13.06.2013

Bedeutung für die Praxis:

  • In Norwegen und Frankreich sowie auf EU-Ebene gibt es für Führungspositionen in der Wirtschaft bereits zwingende Geschlechterquoten von 35-40%. In einigen Schweizer Städten (Bern, Zürich, Schaffhausen und Basel-Stadt) wurden Aufträge an die Stadtregierungen überwiesen, welche Geschlechterquoten für Kaderstellen in den Stadtverwaltungen vorsehen.
  • Neben der in der Schweiz bereits viele Jahre andauernden politischen Diskussion gibt es in der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung bereits Initiativen für freiwillige Geschlechterquoten.
  • Die Schweizerische Bundesverfassung, das Gleichstellungsgesetz und internationale Menschenrechtsverträge (CEDAW, UNO-Pakte und ILO Übereinkommen) erlauben und begünstigen die Einführung von Geschlechterquoten.
  • Die Schweiz hat sich international bereit erklärt, befristete Spezialmassnahmen zur Erhöhung der Partizipation der Frauen in allen Bereichen zu treffen, worunter auch Geschlechterquoten fallen.

Frischer Wind

Das Thema Geschlechterquoten in Wirtschaft und Politik wird zurzeit in der Schweiz und in unseren Nachbarländern wieder intensiv diskutiert. Nicht nur, weil in der EU mit der Richtlinie 2012/0299/COD vorgeschrieben wird, dass bis zum 1. Januar 2020 beide Geschlechter einen Anteil von mindestens 40 % in den Aufsichtsräten („supervisory board“, in der Schweiz „Verwaltungsrat“) von börsenkotierten Gesellschaften haben müssen, sondern auch, weil sich seit einiger Zeit verschiedene Schweizer Stadtparlamente grundsätzlich für die Einführung einer Geschlechterquote für Kaderstellen in der Stadtverwaltung ausgesprochen haben.

Am 20. September 2012 hat der Berner Stadtrat die Motion der interfraktionellen Frauengruppe zur Einführung einer verbindlichen Geschlechterquote angenommen. Konkret verlangt die Motion die Einführung einer Geschlechterquote von 35 % in den Kaderstellen der Stadtverwaltung und den öffentlich-rechtlichen Anstalten der Stadt Bern. Eine ähnliche Motion hat das Stadtparlament Zürich im April dieses Jahres an seine Stadtregierung überwiesen. Die Motion gibt vor, dass Männer und Frauen in den Kaderpositionen der städtischen Verwaltung mit je mindestens 35% vertreten sein müssen. Auch in anderen Städten gibt es vergleichbare Bestrebungen, so z.B. Basel-Stadt und Schaffhausen.

Vorbildfunktion der Bundesverwaltung

Dennoch besteht in der Schweiz grosse Skepsis gegenüber der Idee einer staatlichen „Geschlechterquote“, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Dies zeigte sich im Jahr 2000, als die Initiative „Für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden“ (Quoteninitiative) mit 82% deutlich abgelehnt wurde.

Gleichzeitig versucht vor allem die Bundesverwaltung, mit Vorbildfunktion voran zu schreiten. In den „Weisungen des Bundesrates zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frau und Mann in der Bundesverwaltung“ von 2003 werden die Personalverantwortlichen verpflichtet, Bewerbungen des untervertretenen Geschlechts bei gleichwertiger Qualifikation so lange vorrangig zu berücksichtigen, bis ein paritätisches Verhältnis zwischen den Geschlechtern erreicht wird . Daneben gibt es in der Wirtschaft Initiativen, um Unternehmen im Sinne einer Selbstregulierung zu einer „ausgewogenen Zusammensetzung des Verwaltungsrates“ zu ermutigen, welche auch eine „Diversität der Geschlechter“ anstreben soll (z.B. “Swiss Code of best practice for corporate governance“).

Ungleiche Repräsentation der Geschlechter in Führungspositionen

In den aktuellen Debatten werden Quoten vor allem für Verwaltungsräte und Kaderpositionen gefordert. Dies hat damit zu tun, dass Frauen in den Schweizer Führungsetagen nach wie vor stark untervertreten sind. Frauen haben zudem seltener Leitungsfunktionen. In den Geschäftsleitungen der hundert grössten Schweizer Unternehmen wurden am 31.12.2012 nur 6 % Frauen gezählt; in deren Verwaltungsräten macht ihr Anteil 12 % aus. Insgesamt betrug ihr Anteil unter den Personen mit Vorgesetztenfunktion im Jahre 2012 lediglich 33.4 %. In der höchsten Lohnklasse des Bundes fanden sich 2011 nur 14.3 % Frauen, in der nächst tieferen 27.8 %.

Arten von Quoten

Zur Ausgleichung dieser ungleichen Repräsentation der Geschlechter gibt es verschiedene Arten von Quoten. Mit einem flexiblen Konzept kann Bedenken in Bezug auf eine undifferenzierte Benachteiligung von Männern durch Quoten Rechnung getragen werden.

Regelungen, die anordnen, dass nach einer gewissen Zeit ein definierter, höherer Anteil von Frauen in verschiedenen Bereichen gegeben sein muss, werden Ergebnis- oder Zielquoten genannt. Laut dem Schweizerischen Bundesgericht handelt es sich bei diesen, auch starre Quoten genannten Massnahmen um Quoten, « qui accordent la préférence aux femmes indépendamment de leurs qualifications, en raison du seul critère du sexe » (BGE 131 II 361, E. 5.3. S. 375). Durch starre Quoten wird eine zu erreichende Vertretung von Frauen entweder prozentual oder durch eine bestimmte, von Frauen zu besetzende Anzahl Stellen festgelegt. Bis zur Erreichung der Quote (und damit der Beseitigung der Benachteiligung) werden Frauen qualifikationsunabhängig gegenüber Männern bevorzugt.

Entscheidquoten oder flexible Quoten « donnent la préférence aux femmes à qualifications égales ou équivalentes à celles des hommes » (BGE 131 II 361, E. 5.3. S. 375). Bis zur Erreichung der Quote wird bei gleicher Qualifikation eine Frau gegenüber einem Mann bevorzugt. Diese Art von Quoten bedingt, dass objektive Kriterien zur Beurteilung der Qualifikation definiert und unbeeinflusst von subjektiven Kriterien angewandt werden.

Die in der EU eingeführte Quote ist eine flexible Quote, da im Rahmen der 40% -Vorgabe für Aufsichtsräte bei gleicher Qualifikation Kandidaten/-innen des unterrepräsentierten Geschlechts Vorrang haben. Daneben legt die EU-Richtlinie für die Verwaltungsräte („executive board“, in der Schweiz „Geschäftsleitung“) eine noch flexiblere Quote vor: Die Unternehmen sollen sich selbständig zur geschlechterausgewogenen Besetzung verpflichten, sich entsprechende Ziele für das Jahr 2020 setzen und einen jährlichen Bericht über die Umsetzung abliefern.

Anforderungen für Geschlechterquoten im schweizerischen Recht

Die Schweizerische Bundesverfassung verankert in Art. 8 sowohl ein Diskriminierungsverbot als auch ein Gleichstellungsgebot. Wo Diskriminierungen festgestellt werden, müssen diese durch Anpassung oder Aufhebung der direkt diskriminierenden Regelung beseitigt werden. Findet eine Ungleichbehandlung aber nicht aufgrund einer rechtlichen Regelung, sondern rein faktisch wegen gesellschaftlich verankerten Rollenverständnissen oder aufgrund von Vorurteilen statt, müssen aktive Förderungsmassnahmen ergriffen werden, um die Gleichstellung zu erreichen.

Gemäss den vom Bundesgericht in den Solothurner und Urner Quotenentscheiden entwickelten Grundsätzen sind Frauenförderungsmassnahmen im Rahmen des Gleichstellungsgebots (Art. 8 Abs. 3 Satz 2 BV) möglich, sofern sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und verhältnismässig sind, das heisst geeignet und erforderlich, um die tatsächliche Gleichstellung der Benachteiligten zu erreichen; und schliesslich darf die Massnahme Dritte nicht in unzumutbarem Mass benachteiligen. Damit wird die Spannung zwischen der manchmal als Diskriminierung wahrgenommenen Zurückbindung der Männer und der Notwendigkeit der Beseitigung der Diskriminierung von Frauen durch das sog. Prinzip der praktischen Konkordanz, d.h. durch Abwägung, gelöst. Weil starre Quoten besonders stark in das Diskriminierungsverbot eingreifen können, bedürfen sie in jedem Fall einer formellen gesetzlichen Grundlage, die die Grundzüge der Quote regelt. Das Bundesgericht hat zudem betont, dass starre Quoten bei Anstellungen nur schwer mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip vereinbar seien (siehe „Fribourger Quotenfall“). Für flexible Quoten genügt eine Verordnung oder ein Verwaltungsakt und unter den oben beschriebenen Voraussetzungen ist ihre Verhältnismässigkeit in der Regel zu bejahen.

Gestützt auf Art. 8 Abs. 2 BV wurde 1995 das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG) erlassen. Dieses bestimmt in Art. 3 Abs. 3, dass angemessene Massnahmen zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung keine Diskriminierung darstellen. Allerdings legt das Bundesgericht Art. 3 Abs. 3 GlG im Sinne der Botschaft so aus, dass dieser Artikel ausdrücklich nicht als die gesetzliche Grundlage für staatliche Frauenförderungsmassnahmen gemeint war. Daher genügen laut Bundesgericht weder Art. 3 GlG noch Art. 8 Abs. 3 Satz 2 BV als konkrete Grundlagen für die staatliche Einführung einer Geschlechterquote. Eine formelle gesetzliche Grundlage müsste daher zumindest für starre Quoten geschaffen werden, welche im Lichte des oben erwähnten Fribourger Quotenfalls ihr Augenmerk insbesondere auf das Verhältnismässigkeitsprinzip legen muss.

Geschlechterquoten im internationalen Recht

Das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) nennt in seinem Art. 4 explizit den Rückgriff auf positive, zeitlich begrenzte Sondermassnahmen zur beschleunigten Herbeiführung der de-facto Gleichberechtigung von Mann und Frau. Hierbei handelt es sich nicht nur um eine Erlaubnis, sondern um eine Verpflichtung der Staaten, wie der CEDAW-Ausschuss in seiner General Recommendation Nr. 25 ausdrücklich festhält. Geschlechterquoten kommen dabei als Sondermassnahmen in Frage und müssen beendet werden, sobald das gewünschte Resultat erreicht ist.

Auch aus Art. 3 der beiden UNO-Pakte Pakt I und Pakt II geht hervor, dass Staaten zur Verwirklichung der Geschlechtergleichberechtigung positive Massnahmen ergreifen müssen. Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (zuständig für den UNO-Pakt I) und der Menschenrechtsausschuss (zuständig für den UNO-Pakt II) stellen in General Comment Nr. 16 bzw. Nr. 18 fest, dass Staaten Sondermassnahmen ergreifen sollen, um Umstände oder Bedingungen aufzuheben, welche die Gleichbehandlung der Geschlechter verhindern. Damit dürfen auch temporäre Vorzugsbehandlungen nur eines Teils der Bevölkerung verbunden sein.

Schliesslich enthält auch das Übereinkommen Nr. 111 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Artikel 5 die Möglichkeit für Mitgliedstaaten, spezifische Sondermassnahmen zu ergreifen, um Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf zu beseitigen.

Ausblick

Im Rahmen der Allgemeinen Periodischen Überprüfung (Universal Periodic Review, UPR), welcher sich die Schweiz im Oktober 2012 unterzog (siehe SKMR-Sondernewsletter Nr. 8 vom 14. März 2013) erhielt die Schweiz vom UNO-Menschenrechtsrat die Empfehlung, Massnahmen zur Erhöhung der Frauenvertretung, einschliesslich befristeter Spezialmassnahmen zur Erhöhung der Partizipation der Frauen in allen Bereichen zu treffen (Empfehlung 123.72). Die Schweiz hat diese Empfehlung überraschend angenommen und damit ihre Bereitschaft gezeigt, aktiv für die Vertretung von Frauen auch in Kaderpositionen zu sorgen.

Diese Zustimmung ist erfreulich. Europäische Länder mit gesetzlicher Geschlechterquote können bereits Fortschritte vorweisen: In Norwegen wurde der Frauenanteil in den Führungsetagen innerhalb von drei Jahren von 12 % auf 40 % gesteigert, und in Frankreich seit Einführung der Quote von 12% auf 22% erhöht.

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