Artikel

Eintrag der von Intersexualität betroffenen Kinder ins deutsche Personenregister

Kurzer Kommentar aus Sicht der Kinderrechtskonvention im Hinblick auf die Schweiz

Abstract

Autorinnen: Nicole Hitz Quenon, Michelle Jenni

Publiziert am 08.09.2013

Bedeutung für die Praxis:

  • Bei Kindern mit nicht eindeutig feststellbarem Geschlecht darf in Deutschland ab dem 1. November 2013 keine Geschlechtsangabe mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden.
  • Diese gesetzliche Regelung geht weiter als die Empfehlung des deutschen Ethikrats, den Eltern zu erlauben, mit dem Eintrag in diesen Fällen bis zur Urteilsfähigkeit der betroffenen Person zuzuwarten.
  • Im Lichte des Prinzips des Kindeswohls sowie des Rechts auf Mitbestimmung ist ein zeitlicher Aufschub der Geschlechtszuordnung zu befürworten. Es besteht jedoch die Gefahr, dass mit dem Verbot eines Geschlechtseintrags eine dem Kindeswohl nicht entsprechende Situation gefördert werden könnte.
  • Die schweizerische Regelung, welche zur Zeit obligatorisch einen Geburtseintrag entweder als männlich oder als weiblich vorsieht, müsste gemäss den Empfehlungen der Nationalen Ethikkommission zumindest die Möglichkeit für eine erleichterte unbürokratische Abänderung des Eintrags vorsehen.

In Deutschland wird per 1. November eine Änderung des Personenstandsgesetzes gelten: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden“, so ist neu gemäss § 22 Abs. 3 PStG „der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen“. Es stellt sich die Frage, ob mit dieser neuen Regelung den Anforderungen der Kinderrechtskonvention, insbesondere dem Kindeswohl sowie dem Recht auf Mitwirkung, Rechnung getragen wird.

Empfehlungen des Deutschen Ethikrates

In Deutschland ist es bereits seit dem Jahre 2009 möglich zu verlangen, dass das Geschlecht nicht in die Geburtsurkunde aufgenommen werden soll (§ 59 Abs. 2 PStG). Des Weiteren kann die Eintragung nach § 47 Abs. 2 PStG berichtigt werden, wenn sich ergibt, dass das aktuelle Geschlecht des Kindes nicht mehr mit dem zum Geburtszeitpunkt angegebenen übereinstimmt.

Den zusätzlichen Änderungen des Personenstandgesetzes, die am 1. Nov. 2013 in Kraft treten, ging eine Stellungnahme des deutschen Ethikrats voraus, der im Auftrag von zwei Bundesministerien die Situation und die damit verbundenen Herausforderungen der von Intersexualität betroffenen Personen umfassend analysieren und aufarbeiten sollte.

Der Deutsche Ethikrat war in seiner Stellungnahme der Auffassung, dass im Bereich Personenstand „ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliegt, wenn Menschen, die sich aufgrund ihrer körperlichen Konstitution weder dem Geschlecht weiblich noch männlich zuordnen können, rechtlich gezwungen werden, sich im Personenstandsregister einer dieser Kategorien zuzuordnen.“ Aufgrund dieses Befundes schlug der Deutsche Ethikrat vor, dass bei Personen mit nicht eindeutig feststellbarem Geschlecht die gesetzliche Möglichkeit bestehen soll neben „männlich“ oder „weiblich“ auch „anderes“ zu wählen. Im gleichen Absatz schlug der Ethikrat ausserdem vor, dass zusätzlich geregelt werden sollte, „dass kein Eintrag erfolgen muss, bis die betroffene Person sich selbst entschieden hat“, wobei ein Höchstalter zu bestimmen wäre.

Die neue deutsche Regelung

Das Resultat, das sich nun im neuen § 22 Abs. 3 findet, entspricht nur zum Teil diesen Empfehlungen. Der neue Absatz beinhaltet keine Wahlmöglichkeit zwischen drei Geschlechtern, sondern er schreibt im Falle von Intersexualität eine gesetzliche Verpflichtung zur Beurkundung der Geburt ohne Eintrag eines Geschlechts vor. Wird diese neue gesetzliche Regelung buchstabengetreu angewendet, darf das intersexuelle Kind weder als männlich oder weiblich in die Geburtsurkunde eingetragen werden noch können die Eltern selbständig entscheiden, diese Rubrik des Geschlechts vorläufig offenzulassen.

Im Lichte der Kinderrechtskonvention?

Es stellt sich die Frage, ob die neue deutsche Regelung dem Kindeswohl (Art. 3 Abs. 1 KRK) und dem Recht auf Mitbestimmung (Art. 12 KRK) gerecht wird. Das Kindeswohl ist im Sinne des gesamten Wohlergehens des Kindes, das auch seine geistige und körperliche Entwicklung beinhaltet, zu betrachten.

Welchen Einfluss hat das rechtliche Verbot eines Geschlechtseintrags von intersexuellen Kindern, wie es Deutschland neu vorsieht, auf das Wohl des Kindes und dessen Entwicklung? Ist diese Verpflichtung zur Nicht-Zuordnung (bzw. das Verbot der Zuordnung) zu einem Geschlecht bei Geburt tatsächlich im Interesse des intersexuellen Kindes?

Angesichts der Kritik an der obligatorischen Zuordnung entweder zum männlichen oder zum weiblichen Geschlecht könnte argumentiert werden, dass der resultierende zeitliche Aufschub des Geschlechtseintrags positiv zu bewerten sei, da unter dieser Voraussetzung keine eindeutig männliche oder weibliche Sozialisierung bereits ab dem Kleinkindalter stattfinden würde. Zudem kann mit dieser Regelung die zum späteren Zeitpunkt urteilsfähige intersexuelle Person das Recht auf Mitbestimmung gemäss Art. 12 KRK ausüben, indem sie selbst über die Geschlechtszuordnung entscheidet.

Im Anschluss an diese mögliche positive Beurteilung des zeitlichen Aufschubs stellt sich jedoch die Frage, ob die Form eines Verbots des Eintrags dem Kindeswohl zuträglich ist. Von Seiten von Betroffenenorganisationen (z.B. Zwischengeschlecht) wird befürchtet, dass dieses Verbot faktisch den Druck auf die Eltern verstärken würde, in eine sofortige kosmetische Operation nach der Geburt einzuwilligen, da sonst eine Geschlechtszuordnung gar nicht stattfinden dürfe. Wegen den möglichen stigmatisierenden Folgen einer Nichteintragung bestehe das Risiko, so Zwischengeschlecht, dass die Eltern trotz schwerwiegenden Folgen den operativen Weg wählen würden.

Die Problematik des Geschlechtseintrags sollte primär unter dem Aspekt einer Verhinderung von kosmetischen, d.h. medizinisch nicht indizierten Genitaloperationen nach der Geburt stehen. Es besteht also die Gefahr, dass mit dem Verbot eines Eintrags eine dem Kindeswohl nicht entsprechende Situation gefördert wird, indem die Eltern unter Zeitdruck einer nicht notwendigen Geschlechtsoperation zustimmen.

Wo stehen wir in der Schweiz?

Auf Gesetzesebene wird in der Schweiz für die behördliche Beurkundung einer Geburt die Angabe des Geschlechts verlangt (Art. 8 lit. d ZStV), wobei nur das weibliche oder das männliche Geschlecht zur Verfügung stehen.

Auf der politischen Ebene ist in der Schweiz seit den Interpellationen der Nationalrätinnen Glanzmann (11.3286 Kosmetische Genitaloperationen bei Kindern mit uneindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen) und Kiener Nellen (11.3265 : Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung) vom März 2011 einiges in Bewegung geraten. Gestützt auf diese Interpellationen hat der Bundesrat die Nationale Ethikkommission der Schweiz mit einem Gutachten beauftragt.

Gleichzeitig äusserte sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur Interpellation Kiener Nellen dahingehend, dass die Einführung einer dritten Geschlechtskategorie in der Schweiz wegen Anerkennungsprobleme mit dem Ausland nicht denkbar wäre. NR Eugen Fischer schlug in seiner Petition vom April 2012 (12.2018 Anerkennung eines dritten Geschlechts) verschiedene Massnahmen zur gesetzlichen Anerkennung der Intersexualität vor, u.a. auch die Erstellung eines speziellen Registers zur Intersexualität, das administrativen Zwecken dienen soll. Da in der Zwischenzeit bereits der Bericht der Nationalen Ethikkommission zum Thema vorlag, entschied die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit am 15. Februar 2013, dass zunächst das weitere Vorgehen des Bundesrats abgewartet werden soll.

Was meint die Nationale Ethikkommission der Schweiz dazu?

In ihrer Stellungnahme vom November 2012 hat die Ethikkommission verschiedene Varianten geprüft, wie bei der behördlichen Beurkundung einer Geburt die Frage des Geschlechtseintrags von Menschen mit nicht eindeutig bestimmbarem Geschlecht am besten vorgegangen werden sollte. Sie verwarf dabei die Variante einer dritten Kategorie, da diese zu einer Stigmatisierung führen könnte. Die Ethikkommission favorisierte die Lösung, dass eine erleichterte Änderungsmöglichkeit des Geschlechtseintrages vorzusehen sei, wie z.B. die vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrages durch die kantonale Aufsichtsbehörde, und nicht wie bisher durch ein gerichtliches Verfahren. In ihren rechtsethischen Empfehlungen (Punkt 11) forderte die Kommission daher, dass bei einer Geschlechtsvariante der Eintrag «Geschlecht» in der Beurkundung des Personenstandes unbürokratisch geändert werden könne und dass die Beurteilung des Geschlechts möglichst durch die nachvollziehbare Selbsteinschätzung der Person zu erfolgen habe.

In der Schweiz wäre, wie vorgängig kurz analysiert, im Sinne des Kindeswohls und des Mitwirkungsrechts zumindest die rechtliche Verankerung der Möglichkeit, den Geburtseintrag unbürokratisch abändern zu können, notwendig.

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