Bilanzbericht

Menschenrechte und Wirtschaft: Ein Anfang

Abstract

Nachhaltige Lieferketten, menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungspflicht, Unternehmenshaftung und Transparenz – diese Schlagworte stehen für einen Wandel, der im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte in der letzten Dekade sowohl in der Schweiz als auch international immer rascher stattfindet. Das SKMR begleitete diese Entwicklungen seit seiner Gründung.

Publiziert am 22.10.2022

Mit dem Inkrafttreten des indirekten Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative im Januar 2022 gibt es nun auch in der Schweiz gesetzlich vorgeschriebene Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten. Sie sind Teil einer internationalen Entwicklung, die seit der Veröffentlichung der UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles on Business and Human Rights, UNGP) durch den UNO-Menschenrechtsrat im Jahr 2011 immer mehr die gesellschaftliche Diskussion prägt.

Die UNGP: Auslöser weltweiter Aktivitäten

Die UNGP sind der globale Referenzrahmen, um menschenrechtliche Auswirkungen von wirtschaftlichen Aktivitäten zu identifizieren und zu beurteilen.

Die drei Säulen der UNGP

(1) «Duty to protect»: völkerrechtliche Pflicht der Staaten, Menschenrechte bei den eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten einzuhalten und dafür zu sorgen, dass auch private Akteur*innen, insbes. Unternehmen, Menschenrechte nicht beeinträchtigen

(2) «Responsibility to respect»: Verantwortung der Unternehmen, Menschenrechte zu achten und den Menschenrechtsschutz in den operationellen Abläufen und der Unternehmenskultur zu verankern sowie angemessene Massnahmen zur Prävention, Milderung und, bei Bedarf, Wiedergutmachung zu ergreifen

(3) «Access to remedy»: gemeinsame Verantwortung von Staaten und Unternehmen, Opfern von Menschenrechtsverletzungen Zugang zu wirksamer Abhilfe und Wiedergutmachung zu ermöglichen

Im Rahmen dieser Prinzipien werden Unternehmen als besonders wichtige gesellschaftliche Akteur*innen in die Verantwortung genommen, die Menschenrechte zu achten («responsibility to respect»). Diese Formulierung unterstreicht, dass Unternehmen – im Gegensatz zu Staaten – zwar keine typischen Träger von menschenrechtlichen Pflichten («duty bearers») sind, aber dennoch eine menschenrechtliche Verantwortung haben. Unternehmen werden daher dazu aufgefordert, menschenrechtliche Risiken in ihre Sorgfaltsprüfung zu integrieren und nachteiligen Auswirkungen auf die Menschenrechte angemessen zu begegnen.

OECD-Leitsätze und Nationaler Kontaktpunkt

Ein weiteres für die Schweiz zentrales Instrument sind die 2011 in Einklang mit den UNGP revidierten OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Regierungen formulieren darin Erwartungen an Unternehmen zu verantwortungsvollem Handeln – nicht nur in Bezug auf Menschenrechte, sondern darüber hinaus in praktisch allen Bereichen, in denen Unternehmen mit der Gesellschaft in Berührung kommen. Der in den Leitsätzen vorgesehene spezielle Abhilfemechanismus, der sog. Nationale Kontaktpunkt (NKP), ist in der Schweiz beim SECO angesiedelt und hat eine Reihe von auch international viel beachteten Fällen behandelt. Dem NKP steht ein Beirat zur Seite, den die Direktorin des SECO und die Leiterin des Bereichs Menschenrechte und Wirtschaft des SKMR (bis 2019) gemeinsam präsidierten. So konnte die Expertise des SKMR auch in dieses Gremium einfliessen.

UNO: verbindliches Abkommen zusätzlich zu den Leitprinzipien

Seit 2018 verfolgt und kommentiert das SKMR die Verhandlungen über ein verbindliches UNO-Abkommen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, das Staaten u. a. dazu verpflichten würde, eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen gesetzlich zu verankern. Das SKMR erarbeitete Analysen der Entwürfe zuhanden des Bundes, die als fachliche Grundlage für die Interventionen der Schweiz im Rahmen dieser Verhandlungen dienen. Zudem nahm das SKMR regelmässig an Konsultationen mit weiteren interessierten Akteur*innen teil.

Entwicklungen in der Schweiz: SKMR erarbeitet erste Grundlagenstudie zu Wirtschaft und Menschenrechten in der Schweiz

Nach der Verabschiedung der UNGP erarbeitete das SKMR eine Grundlagenstudie, in der es den rechtlichen Status quo und die von der Schweiz international eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte erfasste. Diese Arbeit diente als Diskussionsgrundlage für den weiteren Umgang der Schweiz mit dem Thema und mündeten unter anderem im Nationalen Aktionsplan (NAP) für Wirtschaft und Menschenrechte. Dieser umreisst die Massnahmen der Schweiz im Bereich der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung und hat die «Verbesserung des Menschenrechtsschutzes im Kontext wirtschaftlicher Aktivitäten» zum Ziel. Neben der Schweiz haben heute auch etliche andere Staaten Aktionspläne zu Wirtschaft und Menschenrechten erarbeitet.

Neue verbindliche Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten – für gewisse Unternehmen

Im November 2020 wurde die Konzernverantwortungsinitiative, die für Unternehmen strenge Sorgfaltspflichten und Haftungsbestimmungen zu Menschenrechten und Umwelt gefordert hatte, verworfen. Anfang 2022 trat der Gegenvorschlag in Kraft. Er sieht nichtfinanzielle Berichterstattungspflichten und thematische Sorgfaltspflichten in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit vor (Art. 964a ff. OR und VSoTR sowie Art. 325ter StGB).

Unter die neue Berichterstattungspflicht fallen Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mind. CHF 20 Mio./einem Umsatzerlös von mind. CHF 40 Mio. und mind. 500 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt. Diese müssen jährlich einen Bericht mit Informationen zu nichtfinanziellen Belangen, also zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmendenbelangen, der Achtung der Menschenrechte und der Bekämpfung der Korruption im In- und Ausland, verfassen. Die Sorgfaltspflichten betreffen nur die Bereiche Konfliktmineralien und Kinderarbeit. Sie umfassen u.a. die Pflicht zur Errichtung eines Managementsystems und zur Festlegung einer Lieferkettenpolitik sowie zur Ermittlung und Bewertung der Risiken in der Lieferkette.

Das SKMR setzte sich für eine möglichst umfassende Anlehnung der schweizerischen Regelung an internationale Standards ein. Dies wurde allerdings mit der VSoTR nur teilweise erreicht.

Weitere Schritte müssen folgen

Rufe nach einer besseren Umsetzung der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen in der Realität und damit verbunden klareren rechtlichen Vorgaben für die Sorgfaltsprüfung erklingen immer lauter und nachdrücklicher. Immer mehr Staaten befürworten eine verbindliche, umfassende menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungspflicht, wie dies aktuelle Entwicklungen auf Ebene der EU und in anderen europäischen Ländern – z. B. Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Finnland – zeigen.

Für eine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz und ihre lange Menschenrechtstradition sind klare, auf das internationale Umfeld abgestimmte Rahmenbedingungen zentral. Die neuen Bestimmungen in der Schweiz halten mit der internationalen Entwicklung nicht Schritt und bilden deshalb den Anfang einer Diskussion, die weitergehen muss.

Bewusstseinsbildung durch das SKMR

Das SKMR hat in den letzten zehn Jahren im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte wesentlich zu einem verstärkten Bewusstsein bei Staat und Unternehmen beigetragen, dass menschenrechtliche Verantwortung und wirtschaftliche Aktivitäten keine Gegensätze bilden, sondern sich gegenseitig ergänzen können. Das SKMR kommentierte und analysierte regelmässig regulatorische Initiativen sowohl der Schweiz als auch anderer Staaten, der EU, der OECD und der UNO. In einer Zeit globaler Wertschöpfungsketten ist dieser Blick über die Grenzen der Schweiz hinaus für Unternehmen unabhängig von ihrer Grösse unverzichtbar – von ihnen wird erwartet, dass sie in ihren gesamten Lieferketten nicht nur unternehmerisch, sondern auch menschenrechtlich denken und handeln.

Das Kompetenzzentrum Menschenrechte der Universität Zürich wird auch nach der Zeit des SKMR aktiv zur Förderung der unternehmerischen Verantwortung im Menschenrechtsschutz beitragen und Staat wie Wirtschaft beraten.

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