Artikel

Wegweisung nach Sri Lanka

EGMR-Urteil, E.G. v. The United Kingdom vom 31. Mai 2011, Beschwerde-Nr. 41178/08

Abstract

Autorin: Dina Bader

Publiziert am 06.07.2011

Bedeutung für die Praxis

  • Die Praxis des EGMR bestätigt, dass im Rahmen einer Wegweisungsverfügung die Vollzugshindernisse, die einer Ausschaffung nach Sri Lanka entgegenstehen, geprüft werden müssen, u.a. die Sicherheitslage im Herkunftsland, der Ort der Wegweisung und die persönlichen Umstände der weggewiesenen Person.
  • Weist der Asylbewerber neben der tamilischen Herkunft weitere Risikofaktoren auf, ist die Anwendung eines «geringeres Übel/geringeres Risiko»-Ansatzes empfehlenswert.

Sachverhalt und Prozessgeschichte

Das Urteil E.G. v. The United Kingdom (Nr. 41178/08) vom 31. Mai 2011 betrifft einen abgewiesenen sri-lankischen Asylbewerber tamilischer Herkunft, der Mitglied der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) war. Er gelangte an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden EGMR), um seine Wegweisung im Sinne von Artikel 2 und 3 der Konvention (Recht auf Leben und Verbot der Folter) anzufechten. Da Artikel 2 und 3 zusammen hängen, stützt sich der Entscheid des EGMR auf Artikel 3.

Die Aussage des Asylbewerbers, dass er 1996 von den sri-lankischen Behörden verhaftet und brutal gefoltert worden sei, wurde 2001 vom britischen Staatssekretär beanstandet, weshalb dieser das Asylgesuch vom 7. November 2000 abgewiesen hat. Der Asylbewerber hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Der für die Neubeurteilung des Dossiers zuständige Richter hat dem Berufungskläger bezüglich Haft und Folter recht gegeben, hat jedoch Vorbehalte bezüglich einer schlechten Behandlung im Falle einer Wegweisung eingeräumt, was der EGMR bestätigt.

Risikoanalyse

Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass das Interesse der Behörden durch eine Rückkehr des Asylbewerbers in sein Heimatland nicht geweckt wird. Dieser Entscheid beruht auf folgenden Elementen: Der Asylbewerber wurde von den sri-lankischen Behörden nach seiner Haft im Jahre 1996 freigelassen und musste deshalb nicht fliehen. Es liegt somit kein Beweis vor, dass die Behörden Dokumente aufbewahrt haben, die die Inhaftierung des Asylbewerbers nachweisen. Ausserdem sind die Narben auf seinem Körper – die einzigen Spuren seiner Haft – nur sichtbar, wenn er kurze Kleider trägt. Zudem konnte er sein Land auf konventionellem Weg verlassen und musste nicht untertauchen. Da der Konflikt zwischen der sri-lankischen Regierung und den LTTE beendet ist und der Asylbewerber nach Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas, weggewiesen werden soll, verstösst die Wegweisung des Asylbewerbers nicht gegen Artikel 3 der Konvention.

Das Urteil wurde nicht einstimmig gefällt. Zwei der fünf Richter der Kammer des Gerichtshofs haben in einem Sondervotum ihren Einspruch zum gefällten Entscheid ausgeführt. Sie sind der Auffassung, dass jegliche Analyse der Risiken und der Folgen einer Wegweisung spekulativer Natur ist, weshalb das Prinzip «geringeres Übel/geringeres Risiko» («lesser evil/lesser risk») anzuwenden sei, wenn der Asylbewerber verschiedene Risikofaktoren wie zum Beispiel Folterspuren aufweist.

Auswirkungen für die Schweizer Behörden

Das Urteil geht somit in die gleiche Richtung wie die Position des Bundesamts für Migration (BFM), das in einer Medienmitteilung vom 26. Januar 2011 verlauten liess, dass abgewiesene oder vorläufig aufgenommene Asylbewerber gebeten werden, die Schweiz zu verlassen, da sich die Situation in Sri Lanka verbessert hat. Da der EGMR explizit erwähnt hat, dass der Entscheid E.G. v. United Kingdom nur für eine Wegweisung in die Hauptstadt anwendbar ist, kann das Urteil nicht allgemein für andere Regionen des Landes, insbesondere die Risikokonfliktzonen im Norden und Osten Sri Lankas, angewandt werden. Das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2008 bezüglich Sri Lanka (BVGE 2008/2) kann somit nicht gelockert werden.

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