Artikel
Nach dem UPR ist vor dem UPR
Die praktischen Folgen der Empfehlungen sowie Argumente gegen eine Fundamentalkritik am UPR-Verfahren
Abstract
Inwieweit die Schweiz aus Sicht der UNO-Mitgliedstaaten ihre internationalen Menschenrechtsverpflichtungen korrekt einhält und wo sie sich verbessern könnte, wurde nach dem Jahre 2008 nun ein zweites Mal vor dem UNO-Menschenrechtsrat behandelt. Die Schweiz nahm zu den 140 erhaltenen Empfehlungen Stellung und hat davon 99 angenommen. Was nun? Eine Ruhepause von mehr als vier Jahren bis zum nächsten UPR-Zyklus?
Nächste Schritte
Mit der Annahme von Empfehlungen ist es offensichtlich nicht getan. Jetzt gilt es, die angenommenen Empfehlungen daraufhin zu evaluieren, wie weit Handlungsbedarf besteht und was konkret unternommen werden muss, damit die Schweiz ihrem eigenen Anspruch gerecht werden kann, eine vorbildliche Politik für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte zu verfolgen.
Bereits die Kurzanalysen in verschiedenen Beiträgen dieses Newsletter zeigen, dass für mehrere Empfehlungen wenig Handlungsbedarf besteht, weil die Schweiz sie bereits weitgehend erfüllt hat oder diese zu allgemein gehalten sind, um konkrete Handlungsimpulse auszulösen. Andere angenommene Empfehlungen werden demgegenüber erhebliche Anstrengungen erfordern, wenn sie bis zur nächsten Überprüfung erfüllt sein sollen. Beispiele dafür finden sich in folgenden Artikeln: Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern verringern bzw. Aufenthaltsrecht von Ausländerinnen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind bzw. Ausbildung für Angehörige der Polizei und das Justizpersonal bzw. Die institutionelle Stärkung des Menschenrechtsschutzes u.a.m.
Darüber hinaus bedeutet die Ablehnung von Empfehlungen nicht automatisch, dass deren Thematik für die Schweiz irrelevant ist. So ist beispielsweise die Trennung von Minderjährigen und Erwachsenen im Strafvollzug ein echtes Problem, welches schon seit längerem nach einer Lösung verlangt. Diese Empfehlung wurde von der Schweiz abgelehnt, weil die Kantone bis 2017 Zeit haben, die erforderlichen Einrichtungen bereit zu stellen. Ihre Umsetzung ist also trotz der Ablehnung erwünscht.
Auch werden die Behörden angesichts von parlamentarischen Vorstössen auch weiterhin mit der Forderung nach einem allgemeinen Diskriminierungsgesetz konfrontiert sein, obwohl dieser im Rahmen des UPR nach 2008 zum zweiten Mal eine klare Absage erteilt wurde.
Ist das UPR-Verfahren eine Farce?
Gelegentlich wird Unverständnis geäussert, warum die Schweiz es sich gefallen lasse, von "menschenrechtsverachtenden Staaten" kritisiert zu werden. Die nörgelnden Staaten sollten zuerst im eigenen Haus eine Menschenrechtsordnung schaffen, bevor sie schweizerische Zustände ins Visier nehmen, von denen sie keine Ahnung hätten. Diese Art von Kritik ist sehr wohl ernst zu nehmen. Sie basiert allerdings auf einem Missverständnis, das es hier zu klären gilt:
Dialog auf gleicher Augenhöhe
Erstens handelt es sich beim UPR-Prozess um ein sogenanntes "Peer Review"-Verfahren, bei welchem alle Staaten die übrigen Staaten beurteilen können und alle Staaten beurteilt werden. Durch dieses umfassende wechselseitige Verfahren wird dem Vorwurf, nur schwache Staaten des Südens würden bezüglich ihrer Menschenrechtslage kritisiert, ebenso entgegen gewirkt wie dem Vorwurf des Kulturimperialismus, wonach die vermeintlich "westlichen" Menschenrechte den nicht-westlichen Staaten einseitig aufgezwungen würden.
Jedes Land erhält eine Stimme. Dieser Dialog auf gleicher Augenhöhe bildet eine einzigartige Chance, den Dialog über Menschenrechte voranzutreiben und den Konsens darüber zu verstärken, und damit die Chancen für die Umsetzung der Menschenrechte auf lokaler Ebene zu vergrössern. Indem sie sich ernsthaft am UPR-Verfahren beteiligt, trägt die Schweiz zu diesen wichtigen Zielen aktiv bei.
UPR als Instrument der Aussenpolitik
Zweitens soll unterstrichen werden, dass es sich beim Menschenrechtsrat um ein politisches Organ der UNO handelt und nicht um ein Expertengremium. Meist spiegelt sich in den Empfehlungen deshalb die Aussenpolitik des empfehlenden Landes. Kein Land wird empfehlen, eine nationale Menschenrechtsinstitution zu etablieren, wenn es selbst keine solche aufgebaut hat.
Wenn Thailand empfiehlt, die "Bangkok-Regeln" beim Umgang mit weiblichen Häftlingen einzuhalten, dann ist selbstverständlich auch ein Stück Eigenwerbung dabei. Wenn Armenien den Artikel 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches lobt, oder wenn Sri Lanka verlangt, dass transnationale Kriminalität und Terrorismus bekämpft werden, so erklärt sich dies damit, dass es Kernthemen ihrer Aussenpolitik sind, und nicht, damit dass sie spezielle Brennpunkte der schweizerischen Menschenrechtsinnenpolitik darstellen. Ausserdem setzen sich Staaten oftmals für die eigenen Landsleute im überprüften Staat ein, so zum Beispiel, wenn sich die Türkei für den muttersprachlichen Unterricht der Ausländerkinder ausspricht oder Nigeria für bessere Haftbedingungen für Asylsuchende an Schweizer Flughäfen.
Wechselseitige Kritikfähigkeit
Der grosse Vorteil im Vergleich zu anderen Instrumenten ist, dass die Staaten, die uns kritisieren, ihrerseits bereit sind, von der Schweiz kritische Empfehlungen zu ihrer Menschenrechtslage entgegenzunehmen. Wenn ein Staat zu einem Punkt Kritik anbringt, bringt er somit zum Ausdruck, dass er die entsprechenden Werte als universell anerkennt. Also, dass die Bangkok-Regeln auch für Häftlinge in Thailand gelten sollten; dass auch in Armenien Rassismus bestraft werden sollte und dass die Türkei sich auch auf ihrem eigenen Territorium für den muttersprachlichen Unterricht einsetzen sollte.
Anzahl der Empfehlungen nicht aussagekräftig
Drittens ist zu erwähnen, dass die Anzahl der erhaltenen Empfehlungen nichts über die Menschenrechtslage im überprüften Land aussagt. Sie gibt höchstens Auskunft über die geostrategische oder ökonomische Bedeutung des Landes auf internationaler Ebene. Die Schweiz, als Gaststaat des Menschenrechtsrates und der in Genf lebenden Diplomaten/innen, erweckt selbstverständlich grösseres Interesse. Allgemein ist die Tendenz bezüglich der Anzahl der erteilten Empfehlungen für alle Länder eher steigend. Dies ist eine zunehmende Herausforderung für das Sekretariat des UNO-Hochkommissariats wie auch für diejenigen überprüften Staaten, die seriös Stellung nehmen möchten.
Die Rolle der NGO
Der kritische Einwand, die Diplomaten/-innen, welche die Empfehlungen formulieren, seien nicht in der Lage, die Schweiz zu beurteilen, weil ihnen das Schweizer System fremd sei, mag teilweise berechtigt sein. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass lokale NGOs des überprüften Staates oftmals eine grosse Arbeit erbringen, um die empfehlenden Staaten über ihr Land zu informieren. Viele Empfehlungen lassen sich denn auch bereits in der Kompilation der NGO Beiträge, zum Teil wortwörtlich, finden. Jede interessierte NGO kann beim UPR-Verfahren zum eigenen Land versuchen, die resultierenden Empfehlungen in ihrem Sinne zu beeinflussen, indem sie dem Sekretariat des UNO-Hochkommissariats im Vorfeld ihren Beitrag zukommen lässt.
Bedeutung des UPR-Verfahrens für die Schweiz
Die Beteiligung der Schweiz am UPR-Verfahren hat nicht nur aussenpolitische Bedeutung, sondern ist auch innenpolitisch hoch bedeutsam. Erstens löst das UPR-Verfahren alle vier Jahre eine Reflexion und Selbsteinschätzung über den Stand der Menschenrechte und der Menschenrechtspolitik in der Schweiz aus: über Erreichtes, aber auch über Defizite. Zweitens schafft es die Gelegenheit, Probleme anzusprechen und Massnahmen in Bereichen anzugehen, die im politischen und administrativen Alltag keine Priorität besitzen.
Besonders wichtig ist ein dritter Aspekt: Der mehrstufige Staatsaufbau der Schweiz stellt eine grosse Herausforderung für die Umsetzung der Menschenrechtsverpflichtungen der Schweiz dar (vgl. SKMR Studie Die Umsetzung internationaler Menschenrechtsempfehlungen im föderalistischen Staat). Das UPR-Verfahren hat eindeutig dazu beigetragen, in diesem Punkt die Kooperation zwischen Bund und Kantonen zu verstärken.
Die Stellungnahme des Bundes zu den offenen Empfehlungen enthält den Satz: "Die unten aufgeführten Reaktionen widerspiegeln die Auffassungen der Kantonsregierungen, der Konferenzen der Kantonsregierungen und der Departemente des Bundes." Diese Aussage, welche bei der letzten Überprüfung im Jahre 2008 nicht hätte gemacht werden können, ist von grösster Bedeutung. Die institutionelle Zusammenarbeit dieser Instanzen hat sich seit dem letzten Überprüfungszyklus wesentlich verbessert.
Fazit
Viele weitere schweizerische Akteure, welche Menschenrechte im Alltag umsetzen, konnten in den letzten 4 Jahren über das UPR-Verfahren informiert und für das Mitwirken daran gewonnen werden. Nun gilt es in den nächsten Jahren, die angenommenen Empfehlungen mit Hilfe aller Akteure umzusetzen. Schliesslich ist ein guter Menschenrechtsnachweis nicht nur reputationsfördernd, weil er Ausdruck von Stabilität und Sicherheit ist. Sondern in ihm sollte sich auch die Fähigkeit der staatlichen Institutionen spiegeln, in der Praxis mit rechtlich heiklen und existenziell teilweise extremen (Ausnahme-)Situationen auf eine konstruktive und für alle Beteiligten faire Art umzugehen.