Artikel

Empfehlung des Europarats über die Partizipation von Kindern und Jugendlichen

Ein emanzipatorischer Ansatz von Bedeutung mit grossen Herausforderungen für die Schweiz

Abstract

Autor: Daniel Stoecklin

Publiziert am 02.05.2012

Zusammenfassung:

  • Am 28. März 2012 hat der Europarat die Empfehlung (CM/Rec (2012)2) über die Partizipation von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren verabschiedet.
  • Die Empfehlung ist neuartig, da sie den Schwerpunkt auf die Beschlussfassung legt und somit einen emanzipatorischen Ansatz verfolgt.
  • Sie hat grosse Auswirkungen, denn das Recht auf Anhörung von Kindern und Jugendlichen muss in allen Bereichen gewährleistet sein, auch in Schulen, den lokalen Gemeinschaften, innerhalb der Familie sowie auf nationaler und europäischer Ebene.
  • Die Ausarbeitung erfolgte nach einer ausführlichen Untersuchung des Einbezugs von Kindern in mehreren Mitgliedstaaten sowie durch die Anwendung eines partizipativen Verfahrens.
  • Für die Schweiz ist die Empfehlung von grosser Bedeutung, insbesondere was die Aus- und Weiterbildung des Fachpersonals anbelangt.

Am 28. März 2012 hat das Ministerkomitee an seinem 1138. Treffen die Empfehlung CM/Rec(2012)2 an die Mitgliedstaaten über die Partizipation von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren verabschiedet.

Auswirkungen der Empfehlung

Die Empfehlung vervollständigt die geltenden europäischen und internationalen Instrumente zum Kinderrechtsschutz und lehnt sich an die Ziele des Europarats bezüglich Kinderrechte und Jugendpolitik an. Sie ist Teil des Programms des Europarats „Ein Europa für und mit Kindern bauen“ (Building a Europe for and with Children) und legt den Fokus auf eine verstärkte Partizipation der Kinder.

Die Empfehlung fördert das Recht des Kindes und der Jugendlichen auf Anhörung in allen Bereichen, auch in Schulen, den lokalen Gemeinschaften, innerhalb der Familie sowie auf nationaler und europäischer Ebene. Sie lehnt sich somit an die Allgemeine Beobachtung Nr. 12 des UN-Kinderrechtskomitees (2009) über das Recht des Kindes auf Anhörung an, die einen ganzheitlichen Ansatz bei den Kinderrechten fördert.

Einerseits steht Art. 12 als allgemeines Prinzip der Kinderrechtskonvention (KRK) in Verbindung mit den andern Artikeln des Übereinkommens, insbesondere mit Art. 3 (Wohl des Kindes). Andererseits sind die verschiedenen Bereiche, in denen die Kinder und Jugendlichen teilnehmen, oft miteinander vernetzt.

Die Kinder und Jugendlichen müssen somit als Akteure in verschiedenen Bereichen betrachtet werden, die dort ihre Fähigkeiten einbringen und ihre eigenen Beiträge leisten. Ihre aktive Partizipation trägt zur Stärkung der Menschenrechte, der Demokratie und des sozialen Zusammenhalts in den europäischen Gesellschaften bei.

Ein partizipatives Vorgehen

Die Empfehlung wurde parallel zu einer Evaluierung der Partizipationspolitik in Finnland, der Slowakei, und in Moldawien ausgearbeitet. Die Arbeiten wurden von einer Ad-hoc-Beratungsgruppe geleitet, bestehend aus Vertretern aus Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und internationalen Fachleuten, darunter auch der Autor dieses Berichts. Die Idee der Miteinbeziehung ist aus Fragebögen und gemeinsamen Sitzungen mit den Vertretern von Kindern und Jugendlichen hervorgegangen. Die Evaluierung der partizipativen Politik durch die Jugendlichen selbst kam insbesondere in den Focus Groups zur Anwendung, die in Form einer an Kinder und Jugendliche angepassten Methode geleitet wurden. Zum ersten Mal in der Geschichte des Europarats nahmen Kinder direkt an den Verfassungsarbeiten des Ministerkomitees teil.

Inhalt der Empfehlung

Die Empfehlung an die Mitgliedstaaten lautet folgendermassen:

"1. Sicherstellung, dass alle Kinder und Jugendlichen ihr Recht auf Meinungsäusserung und Anhörung ausüben können und bei Beschlussfassungen in allen sie berührenden Angelegenheiten teilnehmen können und dass die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und Reife berücksichtigt wird;

2. Förderung des Austauschs von Wissen und guter Praxis bei der Umsetzung der Empfehlung auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene sowie mit der Zivilgesellschaft;

3. Berücksichtigung der im Anhang der Empfehlung aufgeführten Prinzipien und Massnahmen in der Gesetzgebung, Politik und der Praxis;

4. Sicherstellung, dass die vorliegende Empfehlung und ihr Anhang übersetzt werden und die Menschen möglichst stark darauf sensibilisiert werden, insbesondere Kinder und Jugendliche, durch den Einsatz kinder- und jugendfreundlicher Kommunikationsmittel."

Ein emanzipatorischer Ansatz

Die Miteinbeziehung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in die „Beschlussfassung in allen sie berührenden Angelegenheiten“ stellt im Vergleich zum Recht des Kindes, „seine Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äussern“ (Art. 12 KRK) ganz klar ein neues Element dar. Dies ist das Ergebnis eines emanzipatorischeren Ansatzes, bei dem der Fokus stärker auf die Beschlussfassung gelegt wird. Die Meinung des Kindes hingegen wird „angemessen und entsprechend seinem Alter und Reife“ berücksichtigt. Die Empfehlung zielt somit auf eine effiziente Umsetzung ihres Rechts. Zudem soll das Wohl des Kindes gegenüber allen anderen Überlegungen in allen das Kind berührenden Angelegenheiten überwiegen, um die Kinder und Jugendlichen vor jeglicher Form von Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen.

Auswirkungen auf die Schweiz

Die Schweiz muss die Kompetenzen der Fachleute in diesem Bereich ausbauen. Die jüngste Bilanz der Eidg. Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) „Kindern zuhören“ hebt die Notwendigkeit hervor, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, um die Verfahrensbeteiligung und -vertretung von Kindern sicherzustellen und die Gesprächsführung mit Kindern dank entsprechenden Aus- und Weiterbildungsangeboten zu verbessern.

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