Artikel

Zur Zulässigkeit eines Demonstrationsverbotes aufgrund einer geplanten Gegen-Demo

Entscheidungsgrundlagen aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung

Abstract

Autorin: Andrea Egbuna-Joss

Publiziert am 12.03.2014

Bedeutung für die Praxis:

  • Bei der Beurteilung eines Bewilligungsgesuches für eine Demonstration muss die zuständige Behörde alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen.
  • Ein Verbot der Demonstration stellt einen Eingriff in die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit (Art. 16 und Art. 22 BV) dar und muss den Einschränkungsvoraussetzungen von Art. 36 BV genügen.
  • Ein Verbot aufgrund einer drohenden Gegendemonstration ist nur dann zulässig, wenn die Gefahr von Ausschreitungen wahrscheinlich, konkret und ernsthaft ist, und ein generelles Demonstrationsverbot das einzige Mittel ist, um ihr wirksam zu begegnen.

Demoverbot für die Gegner der Masseneinwanderungsinitiative

Das „Antirassistische Kollektiv“ unter Federführung von „Bleiberecht Bern“ wollte am 1. Februar 2014 in Bern gegen die Masseneinwanderungsinitiative demonstrieren und stellte bei der Stadtverwaltung ein entsprechendes Bewilligungsgesuch. Das Polizeiinspektorat lehnte das Gesuch jedoch aus sicherheitspolitischen Überlegungen ab. Der Gemeinderat stützte im Rekursverfahren diesen Entscheid mit der Begründung, es läge ein Bewilligungsgesuch der Gegenseite für das gleiche Datum vor. Aufgrund der Gefahr von Krawallen und Ausschreitungen würden keine gleichzeitig stattfindenden Gegendemonstrationen bewilligt. Die Bundesgerichtspraxis stütze dieses Vorgehen.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtes: BGE 132 I 256

Die Berner Behörden nehmen Bezug auf ein Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahre 2006. Der Beschwerdeführer hatte die Behörden in Brunnen (SZ) erfolglos um eine Bewilligung für die Durchführung einer antifaschistischen Platzkundgebung mit multikulturellem Strassenfest am 1. August 2006 ersucht. Das kantonale Verwaltungsgericht stützte den Entscheid, worauf der Beschwerdeführer vor Bundesgericht eine Verletzung seiner Meinungs- und Versammlungsfreiheit geltend machte. Das Bundesgericht wies jedoch die Beschwerde ab.

Nach den Erwägungen des Bundesgerichts sind im Bewilligungsverfahren namentlich folgende Aspekte zu berücksichtigen: gegen eine Kundgebung sprechende polizeiliche Gründe (u.a. die Aufrechterhaltung der Sicherheit, die Abwendung unmittelbarer Gefahren von Ausschreitungen, Krawallen und Gewalttätigkeiten sowie Übergriffen und Straftaten jeglicher Art), die zweckmässige Nutzung der vorhandenen öffentlichen Anlagen im Interesse der Allgemeinheit und der Anwohner/innen und die durch die Kundgebung verursachte Beeinträchtigung von Freiheitsrechten unbeteiligter Dritter.

Im Bewilligungsverfahren sei zudem dem ideellen Gehalt der Meinungs- und Versammlungsfreiheit Rechnung zu tragen. Insbesondere dürfe nicht massgebend sein, ob die von den Demonstranten vertretenen Auffassungen der zuständigen Behörde mehr oder weniger wertvoll erscheinen.

Im zu beurteilenden Fall war von besonderer Bedeutung, dass es am 1. August 2004 und 2005 in Brunnen zu einem Aufmarsch rechtsextremer Kreise gekommen war, ohne dass diese die Behörden vorgängig um eine entsprechende Bewilligung ersucht hätten. Der Beschwerdeführer wollte daher mit der antifaschistischen Kundgebung am 1. August 2006 einen Gegenpol zu einem erneut wahrscheinlich scheinenden Aufmarsch rechtsextremer Kreise setzen.

Das Bundesgericht stützte die Beurteilung der Vorinstanzen, dass vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Jahre die Gefahr von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kundgebungsteilnehmenden und aufmarschierenden Rechtsextremen als wahrscheinlich, konkret und ernsthaft bezeichnet werden könne. Diese Einschätzung dürfe im Bewilligungsverfahren berücksichtigt werden. Bei der Beurteilung, welche Mittel in einer gegebenen Situation (vernünftiger- und verhältnismässigerweise) zum Schutz der Demonstrierenden und der Bevölkerung eingesetzt werden können, komme den Behörden ein weiter Spielraum zu. Ein Polizeieinsatz würde zudem durch die engen örtlichen Verhältnisse in Zentrum von Brunnen sowie die zu erwartenden Besucher/innen anlässlich der 1. August-Feier erheblich erschwert. Aufgrund der besonderen Umstände erscheine die Verweigerung der Bewilligung daher als einzige Möglichkeit, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten, und damit als verhältnismässig. Sie sei im Sinne eines generellen Verbotes politischer Manifestationen zu verstehen und wende sich auch an rechtsextreme Kreise.

Kommentar

Im Berner Fall sind die Einzelheiten der Lagebeurteilung der Polizei nicht bekannt. Die Polizei berief sich lediglich auf Informationen, aufgrund derer ausgegangen werden musste, „dass ein Kreis von Befürwortern der Masseneinwanderungsinitiative gleichentags zu einer Veranstaltung aufgerufen hätte, wenn die Gegner/innen eine Demonstration am 1. Februar durchgeführt hätten.“ Ein formelles Bewilligungsgesuch der Befürworter/innen für dieses Datum lag jedoch nicht vor.

Aus den Erwägungen des Bundesgerichts darf nicht in allgemeiner Weise gefolgert werden, dass ein Demonstrationsverbot stets gerechtfertigt ist, wenn möglicherweise am gleichen Tag eine Gegendemonstration stattfinden könnte. Vielmehr ist erforderlich, dass entweder ein Bewilligungsgesuch für eine Gegenveranstaltung vorliegt oder dass auch ohne Gesuch aufgrund der bisherigen Erfahrung mit einer Gegenveranstaltung zu rechnen ist. Im Weiteren muss die Gefahr von Auseinandersetzungen zwischen den beiden Seiten wahrscheinlich, konkret und ernsthaft sein und es darf keine alternative Möglichkeit bestehen – wie zum Beispiel durch die Zuweisung unterschiedlicher Demonstrationsrouten oder Örtlichkeiten, durch eine zeitliche Trennung oder durch Schutzmassnahmen der Polizei –, ihr wirksam zu begegnen. Ein generelles Demonstrationsverbot darf in einer demokratischen Gesellschaft nur mit grosser Zurückhaltung ausgesprochen werden und muss stets das letzte Mittel bleiben.

Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht im Jahre 2012 bestätigt: Die blosse Befürchtung von Ausschreitungen ohne konkrete Anhaltspunkte reicht nicht aus, um einer Demonstration die Bewilligung zu verweigern. Vielmehr ist die Meinungsäusserung in diesem Fall zuzulassen und gegebenenfalls durch zusätzliche Polizeikräfte eine sichere Durchführung der Demonstration zu gewährleisten.

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