Artikel

Verbot von Plakaten zu aussenpolitisch brisanten Themen auf Bahnhofsarealen verletzt die Meinungsfreiheit

Zum Urteil des Bundesgerichts 2C_415/2011 vom 3. Juli 2012

Abstract

Autorin: Nathalie Hiltbrunner

Publiziert am 31.10.2012

Bedeutung für die Praxis:

  • Die SBB und andere konzessionierte Unternehmen des öffentlichen Verkehrs müssen in der Öffentlichkeit zugänglichen Teilen von Bahnhöfen die Meinungsäusserungsfreiheit respektieren.
  • Private haben grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass Plakate politischen Inhalts, die an dafür vorgesehenen Orten aufgehängt werden, nicht wegen ihres provozierenden Charakters verboten werden.
  • Der Gefahr, dass provokative Plakate verunstaltet werden oder es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, ist mit geeigneten Massnahmen wie etwa der erhöhten Präsenz der Bahnpolizei Rechnung zu tragen.

Sachverhalt

Anfangs 2009 wurde im Hauptbahnhof Zürich an zwei verschiedenen Stellen ein Plakat aufgehängt, das sich gegen die israelische Siedlungspolitik richtete. Nach nur drei Tagen Aushang veranlassten die SBB die sofortige Entfernung der Plakate. Die SBB beriefen sich dabei auf ihre Bahnhofsordnung und ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, welche Werbung und Botschaften zu aussenpolitisch heiklen Themen verbieten. Der Auftraggeber der Plakataktion erhob erfolgreich Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht, welches die SBB dazu verpflichtete, den Plakataushang zu bewilligen. Dieser Entscheid wurde nun auf Beschwerde der SBB hin vom Bundesgericht bestätigt.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht stellte fest, dass die SBB, da sie staatliche Aufgaben wahrnehmen, an die Grundrechte gebunden seien (Art. 35 Abs. 2 BV). Beim Verbot eines Plakataushanges handle es sich um einen Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit gemäss Art. 16 Abs. 2 BV. Die Ausübung der Meinungsäusserungsfreiheit erfordere vielfach die Benützung öffentlicher Sachen. Auf diese bestehe je nach Nutzungsart grundsätzlich ein unbedingter oder ein bedingter Anspruch, der nur verneint werden dürfe, wenn eine Einschränkung gesetzlich vorgesehen, im öffentlichen Interesse und verhältnismässig ist (Art. 36 BV). Das Verbot von Werbung zu aussenpolitisch brisanten Themen im Reglement der SBB lasse sich nach diesen Grundsätzen jedoch nicht rechtfertigen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, inwiefern sich die Sachlage von innenpolitisch brisanter Werbung, die in Bahnhöfen überaus häufig präsent ist, unterscheiden soll. Das Plakat, das unter anderem die Aussage «Unrecht verlangt Widerstand» enthält, verstosse ausserdem nicht gegen Gesetzesvorschriften. Es enthalte zwar eine kämpferische Ansage, rufe aber weder zur Gewalt auf, noch seien die Äusserungen strafrechtlich relevant. Grundrechte Dritter würden dadurch auch nicht verletzt. Der Gefahr, dass Plakate verunstaltet würden oder dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könnte, sei mit geeigneten Massnahmen wie etwa der erhöhten Präsenz der Bahnpolizei Rechnung zu tragen.

Kommentar

Das Bundesgericht bestätigt in seinem Urteil die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und spricht sich entschieden gegen jegliche Art der Zensur aus. Die SBB werden ihr Reglement bzw. ihre Bewilligungspraxis bei Plakataushängen anpassen müssen. Bei dieser Gelegenheit sollten die SBB im Weiteren auch ihr generelles Verbot von politischen Aktionen wie dem Sammeln von Unterschriften oder Verteilen von Flyern in Bahnhöfen aufheben. Das Bundesamt für Verkehr hatte im November 2011 betreffend die Südostbahn und die Appenzeller Bahnen entschieden, dass ein solch generelles Verbot in Bahnhöfen ebenfalls nicht grundrechtskonform sei (siehe dazu SKMR Newsletter Nr. 4).

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