Artikel
Ausländerrechtliche Härtefälle nach Auflösung der Ehe
Urteil BGE 137 II 345 präzisiert die Unterscheidung von nachehelichen und allgemeinen ausländerrechtlichen Härtefällen
Abstract
Autorinnen: Silvia Schönenberger, Nicole Wichmann
Bedeutung für die Praxis
- Bei Härtefällen nach Auflösung der Ehe (Art. 50 Abs. 1 und 2 AuG) besteht ein Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung, während deren Erteilung bei den übrigen ausländerrechtlichen Härtefällen (Art. 30 Abs. 1 lit b AuG) im Ermessen der Behörden liegt.
- Die allgemeinen Härtefall-Kriterien (Art. 31 Abs. 1 VZAE) können bei der Beurteilung von nachehelichen Härtefällen wegen wichtigen persönlichen Gründen eine Rolle spielen.
- Die Umstände der Eheschliessung und -auflösung sowie die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland sind bei nachehelichen Härtefällen zu berücksichtigen.
- Bei der Beurteilung, ob die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet ist, sind Hindernisse des Wegweisungsvollzugs mit zu berücksichtigen.
- Der Anspruch auf eine Bewilligung (Art. 50) geht einem Asylverfahren oder einem Verfahren um vorläufige Aufnahme vor.
Bedeutung des Urteils
Wird eine Ehe zwischen Schweizer Staatsangehörigen oder
Niedergelassenen mit einer Person ohne eigenständigem Aufenthaltsrecht
in der Schweiz aufgelöst, so stellt sich für die Person mit dem
abgeleiteten Aufenthaltsrecht die Frage, ob sie nach der Trennung in der
Schweiz bleiben kann. Die Bedingungen für den Verbleib in der Schweiz
nach Eheauflösung sind in Art. 50
Abs. 1 und 2 des Ausländergesetzes (AuG) geregelt. Das vorliegende
Urteil des Bundesgerichts klärt das Verhältnis zwischen der
nachehelichen (Art. 50 Abs. 1 lit b und Abs.2 AuG) und der allgemeinen Härtefallregelung (Art. 30 Abs. 1 lit b AuG).
Ehepartnerinnen
und -partner von Schweizer Staatsangehörigen oder Niedergelassenen
haben Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung zwecks Verbleib beim
Ehepartner bzw. bei der Partnerin. Dieser Bewilligungsanspruch besteht
trotz Auflösung der Ehegemeinschaft fort, wenn entweder die Ehe drei
Jahre in der Schweiz gelebt wurde und die betroffene Person erfolgreich
integriert ist (Art. 50 Abs. 1 lit a AuG), oder wenn „wichtige persönliche Gründe“ einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erfordern (Art. 50 Abs. 1 lit b AuG). Die Härtefallregelung in Art. 50
Abs. 1 lit b AuG kommt zur Anwendung, wenn die Voraussetzungen der
mindestens dreijährigen in der Schweiz gelebten Ehe zusammen mit
erfolgreicher Integration (Art. 50
Abs. 1 lit a AuG) nicht erfüllt sind. Abs. 2 präzisiert, dass wichtige
persönliche Gründe, die einen weiteren Verbleib in der Schweiz
erforderlich machen, namentlich dann bestehen können, wenn die
ausländische Person entweder Opfer von ehelicher Gewalt wurde oder wenn
ihre soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet ist (Art. 50 Abs.2 AuG).
Sachverhalt
Ein Mann aus der Demokratischen Republik Kongo floh 2001 nach Südafrika, wo er als Flüchtling anerkannt wurde. Dort lernte er eine Schweizer Staatsbürgerin kennen, die er 2006 heiratete und mit der er 2007 in die Schweiz einreiste, wo er eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei der Gattin erhielt. Nach zwei Jahren Ehe in der Schweiz trennte sich das Paar. Nach dem Dahinfallen des Aufenthaltszwecks verlängerte die Migrationsbehörde des Kantons Solothurns seine Bewilligung im Januar 2010 nicht mehr, woraufhin der Betroffene eine Beschwerde einreichte. Das kantonale Verwaltungsgericht bestätigte den Entscheid der Migrationsbehörde mit dem Hinweis, dass die Ehegemeinschaft weniger als drei Jahre gedauert habe und deshalb kein Fall nach Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG vorliege. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde hingegen gut mit Verweis auf einen persönlichen, nachehelichen Härtefall wegen gefährdeter sozialer Wiedereingliederung im Herkunftsland (Art. 50 Abs. 1 lit b und Abs. 2 AuG).
Erwägungen und Analyse
Die Ehe des Beschwerdeführers hat in der Schweiz lediglich zwei Jahre gedauert, womit er sich nicht auf Art. 50 Abs. 1 lit. a berufen kann. Das Bundesgericht befindet zwar, dass er weitgehend die allgemeinen ausländerrechtlichen Härtefallkriterien für „wichtige persönliche Gründe“ erfülle, doch reiche dies allein noch nicht, um einen weiteren Verbleib zu rechtfertigen. Ausschlaggebend im vorliegenden Urteil ist vielmehr das Kriterium der „gefährdeten sozialen Wiedereingliederung“ im Herkunftsland. Der Beschwerdeführer wurde 1998 in Südafrika als Flüchtling anerkannt. Mit der Ausreise aus Südafrika erlosch der Flüchtlingsstatus des Beschwerdeführers, weshalb seine Rückkehr nach Südafrika infrage gestellt ist. Die Rückkehr in sein Geburtsland Demokratische Republik Kongo erscheint aufgrund des Rückschiebeverbotes, welches ein Wegweisungsvollzugshindernis darstellt, problematisch. Der erloschene Flüchtlingsstatus des Kongolesen weist laut Bundesgericht in genügender Weise auf eine stark gefährdete Wiedereingliederung im Kongo hin, womit der Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung (nach Art. 50 Abs. 2) gegeben ist. Das Urteil des Bundesgerichts hält fest, dass eine nacheheliche Anspruchsbewilligung einem allfälligen Asylverfahren oder einem Verfahren um vorläufige Aufnahme vorgeht.
Nacheheliche Härtefälle (Art. 50 Abs. 1 lit b und Abs. 2 AuG)
Die nacheheliche Härtefallregelung ist eine „Anspruchsbewilligung“. Das öffentliche Interesse an einer restriktiven Migrationspolitik ist bei der Beurteilung nicht von Bedeutung. Alleine die allfälligen Auswirkungen der Ausweisung aus der Schweiz auf die persönliche Situation des oder der Betroffenen sind ausschlaggebend. Die zu berücksichtigenden Interessen und „wichtigen persönlichen Gründe“ können sich mit denen in der allgemeinen ausländerrechtlichen Härtefallregelung nach Art. 30 Abs. 1 lit b AuG überschneiden. Bei der Beurteilung der wichtigen persönlichen Gründe können auch die Kriterien nach Art. 31 Abs. 1 VZAE eine Rolle spielen. Bei der Beurteilung eines nachehelichen Härtefalls müssen die Umstände, die zur Eheschliessung und zur Auflösung der Ehe beigetragen haben, berücksichtigt werden. Entscheidend ist des Weiteren, ob die persönliche, berufliche und familiäre Wiedereingliederung im Herkunftsland als stark gefährdet eingeschätzt wird. Um dieses Kriterium zu erfüllen, muss eine „erhebliche Intensität der Konsequenzen“ für das Privat- und Familienleben gegeben sein.
Allgemeine ausländerrechtliche Härtefälle (Art. 30 Abs. 1 lit b AuG)
Die allgemeine ausländerrechtliche Härtefallregelung nach Art. 30 Abs. 1 lit b AuG liegt im Ermessen der Migrationsbehörden; sie ist damit eine „Ermessensbewilligung“. In dieser Konstellation wird das öffentliche Interesse an der Wegweisung den persönlichen Interessen der oder des Gesuchstellenden gegenübergestellt.
Weiterführende Links und Dokumente:
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BGE 137 II 345 vom 26. Mai 2011