Bilanzbericht

Migration: Klärung der Lücken und Herausforderungen

Abstract

Das SKMR konnte im Bereich Migration Lücken im Rechtsschutz und der Erfüllung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz aufzeigen. Zentrale Themen waren Diskriminierungsschutz, Menschenhandel und die Umsetzung des neuen Asylverfahrens.

Publiziert am 22.10.2022

Erfüllung der internationalen Verpflichtungen: Eine Bestandesaufnahme

Das SKMR startete im Jahr 2013 seine Arbeiten mit der Frage, inwiefern die Schweiz im Themenfeld Migration ihren internationalen Verpflichtungen nachkommt. Es konnten einige Mängel aufgedeckt werden: So kam die vom Bund favorisierte Strategie der vermehrten Rechtsdurchsetzung kombiniert mit einer Intensivierung der Integrations-, Präventions- und Sensibilisierungsmassnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und rassistischer Diskriminierung der Forderung der internationalen Vertragsorgane nach gesetzgeberischen Massnahmen nur ungenügend nach. Im ausländerrechtlichen Bereich wurde die Gesetzgebung in den letzten Jahren massgeblich angepasst, sodass sich die Kritik des SKMR vor allem auf deren Umsetzung konzentrierte. Sowohl beim Eheverbot für Sans-Papiers als auch beim Aufenthaltsrecht für Opfer häuslicher Gewalt und bei der ausländerrechtlichen Administrativhaft wurden diesbezüglich Probleme ausgemacht. Im Asylbereich standen die Themen «Rechtsschutz für Asylsuchende» und die «Nothilfe» im Vordergrund. Die Erkenntnisse aus der Bestandesaufnahme hatten zur Folge, dass der Diskriminierungsschutz und die Begleitung der Umsetzung des neuen Asylrechts in den Folgejahren zu Arbeitsschwerpunkten des SKMR wurden.

Lücken im Diskriminierungsschutz

Das SKMR befasste sich mit Diskriminierung im Allgemeinen sowie insbesondere dem Schutz vor rassistischer Diskriminierung. Mit Fokus auf den Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen identifizierte die Studie von 2015 Lücken im Diskriminierungsschutz bei rassistischer Diskriminierung. Im Strafrecht schützt die Antirassismus-Strafnorm (Art. 261bis Strafgesetzbuch (StGB)) explizit vor rassistischer Diskriminierung. Diese gesetzliche Grundlage erweist sich jedoch als unzureichend, erfasst Artikel 261bis Strafgesetzbuch lediglich die Kriterien «Rasse», Ethnie und Religion. Im Rechtsalltag erweist sich dies jedoch als zu eng, da sich xenophobe Äusserungen auch auf die Nationalität und den Status als Ausländer*in beziehen können. Im Zivilrecht fehlen explizit auf rassistische Diskriminierung ausgerichtete materielle Bestimmungen. In der Praxis zeigt sich, dass es kaum möglich ist, zivilrechtlich gegen Diskriminierungen vorzugehen. Es sind also sowohl im Straf- wie auch im Zivilrecht erhebliche Lücken auszumachen.

Im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) erstellte das SKMR ein Gutachten über die Auslegung des Nichtdiskriminierungsgrundsatzes in der Istanbul-Konvention. Gemäss seiner Analyse schliesst der Begriff «Frauen» in der Istanbul-Konvention alle Personen ein, deren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister weiblich ist und/oder die sich unabhängig von ihrem Geschlechtseintrag ganz oder teilweise als Frauen identifizieren. Bei den Unterstützungs- und Opferhilfemassnahmen unterscheidet die Konvention nicht nach Geschlechtsidentität oder Geschlechtsausdruck einer Person. Zudem muss gemäss Konvention den Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt Hilfe gewährt werden, unabhängig davon, welchen Aufenthaltsstatus sie besitzen und ob sie die Gewalt in der Schweiz oder im Ausland erlitten haben. Sowohl die Auslegung des Begriffs «Frau», wie auch die Ausweitung des berücksichtigten Tatortes aufs Ausland stellen Erweiterungen im Vergleich zum geltenden Recht dar, die erhebliche Auswirkungen auf das Beratungsangebot haben.

Das SKMR hat sich zum Thema Diskriminierung auch in der Sensibilisierung und Bildung eingebracht. So hat es Polizeiausbildungen durchgeführt, die auf die Sensibilisierung für und die Bekämpfung von Diskriminierung ausgerichtet sind.

Evaluation der Umsetzung des neuen Asylverfahrens

Im Juni 2016 nahm die Stimmbevölkerung die Änderung des Asylgesetzes zur Beschleunigung des Asylverfahrens an. Nach diesem neuen Verfahren wird den Asylsuchenden bereits im erstinstanzlichen Verfahren kostenlos eine Rechtsvertretung zugewiesen, die sie während des gesamten Verfahrens begleitet. In seiner Evaluation der Testphase zur Umsetzung des neuen Verfahrens beurteilte das SKMR dies als Fortschritt. Es kam zum Schluss, dass die Rechtsvertretung ein wirksames Mittel darstellt, um die Rechte der Asylsuchenden einzufordern. Die Asylsuchenden werden besser über den Ablauf des Verfahrens und über ihre Rechte sowie Pflichten informiert und sie erhalten Unterstützung im Asylverfahren.

Diese Erkenntnisse bestätigten sich 2021 in der vom Staatssekretariat für Migration (SEM) an das SKMR in Auftrag gegebene Evaluation des Rechtsschutzes und der Qualität der Entscheide bei der Anwendung des neuen Asylverfahrens. Die Verfahren und insbesondere die Umsetzung des Rechtsschutzes scheinen gut zu funktionieren. Gleichzeitig zeigt sich Verbesserungsbedarf, insbesondere bezüglich der interregionalen Koordination und Harmonisierung der Praktiken des SEM.

Erzielte Fortschritte

Das SKMR konnte in verschiedenen Bereichen positive Impulse liefern

  • Schulung der Polizei in der Bekämpfung und dem Schutz vor Diskriminierung
  • Sensibilisierung und Vernetzung von institutionellen und anderen Akteur*innen in Bezug auf Diskriminierung beim Zugang zu Gesundheitsversorgung und Sozialdiensten, insbesondere während der Covid-19-Pandemie

Der Handlungsbedarf bleibt hoch

Folgende Empfehlungen des SKMR wurden nicht berücksichtigt und bleiben aktuell

  • Ausbau des Unterstützungsnetzwerks für Opfer rassistischer Diskriminierung, u.a. Erhöhung der Ressourcen bestehender Beratungsstellen
  • Einführung des Vier-Augen-Prinzips zur Qualitätskontrolle der Asylentscheide des SEM

Hürden bei der Strafverfolgung von Menschenhandel und bei der Ausbeutung am Arbeitsplatz

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des SKMR ergab sich 2015 aus einem Auftrag im Rahmen des ersten nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung des Menschenhandels 2012-2014. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie (2013) sollten Forschungsstrategien aufgezeigt werden, anhand welcher die Grauzone des Menschenhandels qualitativ und quantitativ untersucht werden kann. Das SKMR befasste sich in der Folge insbesondere mit dem Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung, der nach Artikel 182 StGB erboten ist. Obwohl es zahlreiche Hinweise auf Menschenhandel gibt, sind Verurteilungen in diesem Bereich selten. Einer der Gründe dafür ist der Begriff «Ausbeutung», der im Schweizer Recht nicht definiert ist. Als weiteres Problem identifizierte das SKMR den Mangel an Zeugenaussagen von Opfern. Den Opfern wird bei der Beweisführung während des Strafverfahrens eine grosse Bedeutung beigemessen. Aufgrund ihrer Verletzlichkeit und der erlittenen Traumata sind sie jedoch häufig nicht in der Lage, vor Gericht verwertbare Aussagen zu machen. Ausserdem befinden sie sich zum Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens, wenn es zu einem Prozess kommt, oft nicht mehr in der Schweiz.

Erzielte Fortschritte

Das SKMR konnte in verschiedenen Bereichen positive Impulse liefern

  • Bessere Sichtbarkeit des Themas «Menschenhandel»
  • Sensibilisierung der Behörden für die Thematik des Menschenhandels und der Arbeitsausbeutung

Der Handlungsbedarf bleibt hoch

Trotz der in den letzten Jahren erzielten Fortschritte wurden mehrere Empfehlungen des SKMR nicht berücksichtigt und bleiben daher weiterhin aktuell

  • Gewährung von Aufenthaltsgenehmigungen für Personen, die Opfer von Menschenhandel sind
  • Unterstützung der Opfer bei der Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden
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