Artikel

Verbesserung der Vereinbarkeit von Volksinitiativen mit dem Völkerrecht

Zusatzbericht des Bundesrats vom 30. März 2011

Abstract

Autorin: Andrea Egbuna-Joss

Publiziert am 06.05.2011

Bedeutung für die Praxis:

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Der Bundesrat hat am 30. März 2011 einen Zusatzbericht zu seinem ausführlichen Bericht von 2010 über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht vorgelegt. Der Zusatzbericht diskutiert mögliche Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Verfassungsvorlagen mit dem Völkerrecht und schlägt im Wesentlichen vor, künftig Volksinitiativen vor der Unterschriftensammlung einer unverbindlichen materiellen Vorprüfung zu unterziehen sowie die Ungültigkeitsgründe gemäss Art. 139 Abs. 3 BV auch auf die Verletzung grundrechtlicher Kerngehalte auszudehnen.

Ausgangslage

Gemäss Art. 139 Abs. 3 BV wird eine Volksinitiative derzeit nur dann für ganz oder teilweise ungültig erklärt, wenn sie die Einheit der Form, die Einheit der Materie oder zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verletzt. Für gültig erklärt werden folglich Volksinitiativen, die „nur“ gegen nicht zwingendes Völkerrecht verstossen. Bei der Annahme einer solchen Volksinitiative entsteht in der Folge ein Konflikt zwischen Verfassungs- und Völkerrecht, zu dessen Lösung die Bundesverfassung keine Regelung enthält.

Insofern sich dieser Konflikt nicht durch eine völkerrechtskonforme Umsetzung der Initiative durch den Gesetzgeber lösen lässt, bleibt der Schweiz nur die unattraktive Wahl zwischen der Nichtanwendung von geltendem Verfassungsrecht und der Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen. Die Möglichkeit einer Kündigung der völkerrechtlichen Verträge zur Behebung des Konfliktes besteht insbesondere im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes nur sehr begrenzt: Während die EMRK zumindest aus rechtlicher Sicht grundsätzlich kündbar wäre, enthalten z.B. die UNO-Pakte I und II keine Kündigungsklausel und sind folglich unkündbar. Viele menschenrechtliche Garantien bilden zudem Teil des Völkergewohnheitsrechtes und wären daher auch ohne jegliche vertragliche Verpflichtung nach wie vor für die Schweiz verbindlich.

Die im Zusatzbericht vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen zielen daher darauf ab, schon die Entstehung von Konflikten zwischen Verfassungs- und Völkerrecht zu verhindern.

Materielle Vorprüfung der Völkerrechtskonformität von Volksinitiativen

Als erste Massnahme schlägt der Bundesrat vor, die Vereinbarkeit einer Volksinitiative mit dem gesamten, nicht nur dem zwingenden Völkerrecht bereits vor der Unterschriftensammlung zu prüfen. Diese unverbindliche Vorprüfung, die das Bundesamt für Justiz und die Direktion für Völkerrecht gemeinsam vornehmen würden, soll es den Initianten ermöglichen, den Initiativtext allenfalls entsprechend anzupassen. Da das Resultat der Vorprüfung auch auf den Unterschriftenbogen vermerkt werden soll, geht der Bundesrat zudem davon aus, dass weniger völkerrechtswidrige Initiativen überhaupt zu Stande kommen bzw. in einer Volksabstimmung weniger oft angenommen werden würden.

Ausdehnung der Ungültigkeitsgründe auf grundrechtliche Kerngehalte

Der Bundesrat empfiehlt als weitere Massnahme die Erweiterung der Ungültigkeitsgründe um das Kriterium der grundrechtlichen Kerngehalte. Er sieht diese Ausdehnung als geeigneten Beitrag zur Entschärfung der dringendsten Probleme, wie sie durch das Einreichen völkerrechtswidriger Volksinitiativen entstehen können (vgl. Zusatzbericht vom 30. März 2011, S. 29 ff.).

Das Diskriminierungsverbot in Art. 8 Abs. 2 BV, welches eine qualifizierte Ungleichbehandlung verbietet, gehöre zwar gemäss geltendem Recht nicht zu den grundrechtlichen Kerngehalten, komme jedoch ebenfalls als weitere materielle Schranke in Betracht, welche die Entstehung zusätzlicher Konflikte zwischen neu geschaffenem Verfassungsrecht und Völkerrecht vermeiden könnte. So wäre aufgrund dieses Kriteriums z.B. die Minarett-Initiative für ungültig erklärt worden.

Im Fazit empfiehlt der Bundesrat zunächst lediglich die Ausdehnung der Ungültigkeitsgründe auf grundrechtliche Kerngehalte und begnügt sich mit dem Hinweis an das Parlament, dass die Festlegung des Diskriminierungsverbotes als zusätzliche Schranke möglich wäre.

Gegen eine verfassungsmässige Verankerung der Schubert-Praxis

Da selbst eine materielle Vorprüfung und die Ausdehnung der Ungültigkeitsgründe nicht in jedem Fall verhindern können, dass ein Konflikt zwischen Landes- und Völkerrecht entsteht, hat der Bundesrat schliesslich noch die Einführung einer eigentlichen Kollisionsregel sowohl für das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Bundesgesetzen als auch zwischen Völkerrecht und Verfassungsrecht geprüft.

Im Ergebnis spricht sich der Bundesrat jedoch gegen eine verfassungsmässige Verankerung der (gemäss der PKK-Rechtsprechung in BGE 125 II 417, S. 425 E. 4.d relativierten) Schubert-Praxis aus, u.a. weil die Tragweite der internationalen Menschenrechtsgarantien, die einen Vorrang vor Bundesverfassung und Bundesgesetzen begründen sollen, noch nicht ausreichend klar bestimmt sei (vgl. Zusatzbericht vom 30. März 2011, S. 48 f.).

Analyse und Ausblick

Während die vorgeschlagenen Massnahmen des Bundesrates als wichtige Schritte in die richtige Richtung zu begrüssen sind, ist fraglich, ob sie die aktuellen Probleme im Zusammenhang mit völkerrechtswidrigen Volksinitiativen zu lösen vermögen. Aus menschenrechtlicher Sicht ist zu bedauern, dass sich der Bundesrat nicht zu einer Empfehlung des Diskriminierungsverbotes als zusätzliches Ungültigkeitskriterium entschliessen konnte. Es ist nicht ersichtlich, weshalb sich der Volkssouverän weiterhin über ein so elementares und ebenfalls demokratisch legitimiertes Grundrecht hinwegsetzen können soll. Zudem gehören gewisse Teilgehalte des Diskriminierungsverbotes wie etwa das Verbot der systematischen Rassendiskriminierung (z.B. Rassengesetze, apartheitsähnliche Regeln) oder das Verbot der generellen Herabsetzung von Frauen heute zum harten Kern des Völkerrechts. Die Annahme des Bundesrates, dass alleine die Kenntnis der Völkerrechtswidrigkeit einer Initiative die Stimmberechtigten von einer Annahme derselben abhalten wird, scheint angesichts der Abstimmungsresultate der letzten Jahre (als Beispiele seien hier nur die Abstimmungen über die Minarett- und die Ausschaffungs-Initiativen genannt) zu optimistisch. Es bleibt nun abzuwarten, inwieweit die Empfehlungen des Bundesrates bei der Behandlung der Parlamentarische Initiative Vischer zur „Gültigkeit von Volksinitiativen“ berücksichtigt werden.

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