Artikel

Die Familie im Ausländer- und Asylrecht

Schutz des Familienlebens: laufende Entwicklungen

Abstract

Autorin: Fanny Matthey

Publiziert am 06.05.2011

Bedeutung für die Praxis:

  • Zur Information
  • Eine vertiefte Analyse zur Lex Brunner folgt im nächsten Newsletter

Der Anspruch auf Schutz des Familienlebens ist derzeit ein zentrales Thema, sowohl auf der Ebene des Gesetzgebers wie auf der Ebene der Rechtsprechung. Besonders aktuell ist das Thema seit Anfang dieses Jahres.

Lex Brunner

Auf Gesetzgebungsebene ist am 1. Januar 2011 der neue Artikel 98 Abs. 4 ZGB (Lex Brunner) in Kraft getreten (AS 2010 3057). Dieser beabsichtigt, die Eheschliessung mit einer ausländischen Person, welche keinen rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachweisen kann, zu verbieten. In einem im Jusletter veröffentlichten Artikel analysieren Philippe Meier und Laura Carando diese neue Bestimmung unter dem Blickwinkel eines jüngeren Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Case of O'Donoghue and others v. The United Kingdom, vom 14 März 2011, application no 34848/07). Die beiden kommen zum Schluss, dass der neue Artikel 98 Abs. 4 ZGB Gefahr läuft, toter Buchstabe zu bleiben.

Für mehr Details beachten Sie bitte den Artikel Zum Eheverbot für Sans Papiers auf humanrights.ch.

Parlamentarische Initiativen

Das Thema Familie im Ausländer- und Asylgesetz stand auch im Bundesparlament zur Debatte. Am 25. März 2011 gab die staatspolitische Kommission des Ständerates zwei parlamentarischen Initiativen, welche vom freisinnigen Aargauer Philipp Müller eingereicht worden waren, Folge. Beide Texte betreffen den Familiennachzug.

  • Die erste Initiative, „Vereinheitlichung beim Familiennachzug“ (10.485), will den Familiennachzug beschränken und zwar bei Ausländern/-innen mit Niederlassungsbewilligung, die über keine geeignete Wohnung verfügen oder auf Sozialhilfe angewiesen sind. Diese Initiative würde Personen mit einer Niederlassungsbewilligung (Ausweis C) denjenigen mit einer Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B) gleichstellen.
  • Die zweite Initiative „Kein Flüchtlingsstatus für Familienangehörige“ (10.483), strebt eine Individualisierung des Flüchtlingsstatus an, indem dieser nur noch jenen Personen zuerkannt wird, die effektiv aufgrund eines Fluchtgrundes als Flüchtlinge anerkannt werden. Demzufolge müssen Ehegatten und Kinder ein Gesuch im Rahmen des «normalen» Familiennachzugs gemäss Art. 43 AuG (und nicht wie bisher gemäss Art. 51 AsylG) einreichen und können somit nicht mehr vom abgeleiteten Flüchtlingsstatus profitieren.

Bundesgericht

Im Bereich Rechtsprechung ist ein Urteil des Bundesgerichts vom 6. Januar 2011 (Urteil 8C_268/2010) zu erwähnen. Darin hat es die Beschwerde einer jungen, abgewiesenen und Nothilfe beziehenden Asylbewerberin abgelehnt, welche mit Verweis auf den Familiennachzug beantragte, im selben Kanton (Waadt) Nothilfe zu beziehen wie ihr Freund und Vater ihrer Kinder. Das Bundesgericht wies die Beschwerde der jungen Mutter, welche dem Kanton Bern zugewiesen war, mit der Begründung ab, dass sie das Gesuch um Nothilfe im Kanton Bern stellen müsse.

In seiner Argumentation befasste sich das Bundesgericht nur am Rande mit der von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Frage der Familienzusammenführung. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die Trennung von Kindern vom einen oder andern Elternteil im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Nothilfe einen unverhältnismässigen Eingriff in das Familienleben darstelle (Erwägung 4.2 in fine).

Demgegenüber vertrat das Bundesgericht - nicht ohne allerdings an die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gegenüber der Schweiz (Urteil des EGMR Mengesha Kimfe c. Suisse et Agraw c. Suisse, vom 29 Oktober 2010, Beschwerde Nr. 24404/05 und 3295/06) zu erinnern – die Meinung, dass es im vorliegenden Fall nicht notwendig sei, die Frage der Familienzusammenführung unter dem Blinkwinkel von Art. 8 EMRK zu prüfen, denn es sei nicht angemessen, über den Umweg der Vorschriften zur Sozialhilfe oder Nothilfe kantonale Zuweisungsentscheide zu ändern bzw. zu hintertreiben, und so die im Gesetz vorgesehene Verschränkung von Zuweisung in einen Kanton und Nothilfe in Frage zu stellen (Erwägung 6.3). Im Übrigen führt das Bundesgericht zwei weitere (fragwürdige) Argumente an, um seine Position zu begründen:

  • Als erstes Argument führt das Bundesgericht an, dass ein solcher Schritt (nämlich die Familienzusammenführung) dem Willen des Gesetzgebers, Asylsuchende in gerechter Weise auf die Kantone zu verteilen, zuwiderlaufen würde. Diese «Verteilung» ist effektiv in Art. 27 AsylG, welcher – daran sei erinnert - im letzten Satz von Abs. 3 auch den Grundsatz der Einheit der Familie festschreibt, vorgesehen. Im vorliegenden Fall kann dem Sachverhalt nicht entnommen werden, ob das Paar bereits zum Zeitpunkt der Verteilung auf die Kantone zusammen war oder nicht. Vermutlich war das nicht der Fall, obwohl ihre Tochter im Jahr nach der Kantonszuweisung geboren wurde (die Zuweisung der Mutter erfolgte offensichtlich Ende November 2004, sie musste den Vater des Kindes damit spätestens im März 2005 getroffen haben).

    Auf jeden Fall ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, ob die Mutter den Zuweisungsentscheid angefochten hatte. Das Bundesgericht vertritt allerdings die Meinung, dass die für die Zuweisung zuständige Behörde - soweit dies für die Einhaltung der Familieneinheit erforderlich gewesen wäre – den Zuweisungsentscheid betreffend den Partner der Mutter (welcher ebenfalls ein abgewiesener Asylbewerber ist) hätte ändern können und nicht umgekehrt, denn so wären die kantonale Zuteilung sowie die finanziellen Konsequenzen im Zusammenhang mit der öffentlichen Unterstützung respektiert worden (Erwägung 6.3).

    Dieses Argument ist wenig überzeugend, da der Vater, angesichts seiner rechtlichen Situation, riskiert, ebenfalls um Nothilfe nachsuchen zu müssen (unter anderem hätte es ihm ein Kantonswechsel erschwert, für seinen Unterhalt aufzukommen, falls er nicht deutsch spricht).
  • Das zweite vom Bundesgericht vorgebrachte Argument wirft eine verfahrensrechtliche Frage auf. Die Richter vertreten nämlich die Ansicht, dass die Beschwerdeführer, sollten sie sich in einer derart (im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für die Menschenrechte) aussergewöhnlichen Situation befinden, welche einen Kantonswechsel auch nach einem abschlägigen Asylbescheid noch rechtfertige, ihre Anfrage an das Bundesamts für Migration richten müssten. Auf diese Weise umschifft das Bundesgericht zum Teil die Grundfrage indem er es der Beschwerdeführerin und ihrem Freund überlässt, die notwendigen Schritte zu unternehmen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Auf internationaler Ebene hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 9. März 2011 ebenfalls einen Entscheid betreffend Schutz des Familienlebens veröffentlicht. Das Urteil, welches gegenüber der Schweiz gefällt wurde (Urteil Gezcinci v. Schweiz, Beschwerde Nr. 16327/05), betrifft einen ausländischen Staatsangehörigen, der in der Schweiz geboren wurde und hier während etwa 30 Jahren gelebt hat, davon allerdings nur 18 Jahre rechtmässig. Sein letztes Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen (Permis B) wurde von den Behörden abgelehnt. Seine elfjährige Tochter lebt bei ihm, da ihre Mutter spurlos verschwunden ist.

Gegen die Verweigerung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen berief sich der Beschwerdeführer auf Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat-und Familienlebens). Der Gerichtshof vertritt in seinem Urteil die Meinung, dass die Schweiz das richtige Gleichgewicht gefunden hat zwischen den Interessen des Beschwerdeführers und seiner Tochter auf der einen Seite und dem eigenen Interesse, die Einwanderung zu kontrollieren, auf der anderen Seite (Par.80). Er kommt deshalb zum Schluss, dass im Falle einer Wegweisung kein Verstoss gegen Art. 8 EMRK vorliege. Bei der Begründung seines Entscheids hat der Gerichtshof insbesondere die Tatsache berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer sich seit 1997 nur unregelmässig in der Schweiz aufgehalten hat, dass er keinen Willen zur Integration gezeigt hat und dass die Verbindung zu seinem Herkunftsland nie völlig abgebrochen war.

^ Zurück zum Seitenanfang