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Zugang zur Justiz in der Schweiz kaum erforscht
Erfolgreiche SKMR-Tagung zu aktueller Thematik
Rund 100 Fachpersonen aus den Bereichen Justiz, Gleichstellung, Kindesschutz, Migration sowie aus der Wissenschaft und der Politik sind am 30. August der Einladung des SKMR nach Bern gefolgt. Die Tagung „Zugang zur Justiz für alle: Ein zentrales Menschenrecht - Aktuelle Herausforderungen für die Schweiz im Bereich Frauen- und Kinderrechte“ wollte das Fachpublikum für die aktuelle Thematik sensibilisieren. Gleichzeitig stand der Wissensaustausch im Vordergrund.
Zu Beginn der halbtägigen Veranstaltung führte die Berner Rechtskonsulentin Erika Schläppi in die komplexen Fragestellungen rund um einen diskriminierungsfreien und effektiven Zugang zur Justiz ein und gab einen Überblick über die bestehenden grund- und menschenrechtlichen Standards. Aufgezeigt wurde an konkreten Beispielen, welche Voraussetzungen (rechtlich, institutionell, organisatorisch, politisch etc.) gegeben sein müssen, damit eine Person Rechtsschutz nachsuchen und schliesslich auch erhalten kann. Leo Ratledge von der Organisation Child Rights International Network (CRIN, London) gab anschliessend Einblick in die Problematik der Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen. Namentlich stellte er einzelne Aspekte der Leitlinien des Europarats für eine kindgerechte Justiz und Erfahrungen aus verschiedenen europäischen Ländern vor.
Anregende Diskussionen
In den darauffolgenden zwei Workshops präsentierten die SKMR-Themenbereiche Geschlechterpolitik sowie Kinder- und Jugendpolitik ihre laufenden Arbeiten zum Themenschwerpunkt, um diese im Anschluss mit den Teilnehmenden zu besprechen. Im Workshop „Gleicher Zugang zum Gericht für Frauen und Männer – wo steht die Schweiz?“ wurden eine erste Bestandesaufnahme zur Situation in der Schweiz gemacht und Hinweise und Anregungen von den anwesenden Fachleuten zur längerfristigen Qualitätssicherung im Justizsystem aus einer Gender-Perspektive diskutiert. Im Workshop „Eine kindgerechte Justiz: Die Kindesanhörung bei einer Fremdplatzierung oder der Wegweisung eines ausländischen Elternteils“ ging es um erste Ergebnisse der laufenden Studie.
Zum Abschluss der Veranstaltung widmete sich Teresa Marchiori, Justizexpertin bei der Weltbank und Konsulentin von UN Women, der Frage, wie der Zugang zur Justiz gemessen werden kann und welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um eine transparente Justiz zu garantieren.
Forschungsbedarf in der Schweiz
Der Austausch mit den anwesenden Fachleuten zeigte, dass der Zugang zur Justiz in der Schweiz bisher kaum erforscht worden ist. Es gibt in der Tat nur wenige statistische Daten, die es erlauben würden, eine Aussage über die effektive Umsetzung des grund- und menschenrechtlich verbrieften Rechts von Frauen und Kindern auf Zugang zur Justiz zu machen.
Im Hinblick auf eine bessere Partizipation von Kindern im Verfahren wurde deutlich, dass die Akteure verstärkt sensibilisiert und ausgebildet werden sollten. Es fehlt insbesondere das Bewusstsein, dass das Partizipationsrecht des Kindes nach Art. 12 der UNO-Kinderrechtskonvention über das rechtliche Gehör im Sinne des Schweizer Rechts hinausgeht und die Pflicht beinhaltet, sich mit den Wünschen und Bedürfnissen von Kindern unabhängig von der Perspektive ihrer Eltern auseinanderzusetzen.
Die Folgen eines rechtlich oder faktisch eingeschränkten Zugangs zur Justiz für die Gleichstellung der Frauen in der Schweiz wurde bisher ebenfalls kaum untersucht. Gleichzeitig liegen auf der internationalen Ebene (UNO, Europarat, internationale NGOs etc.) zahlreiche Indikatoren, Guidelines und Studien zur Messung des Zugangs zur Justiz vor, wie Teresa Marchiori in ihrem Referat eindrücklich darlegte.
Weiterführende Links und Dokumente:
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Präsentation von Michelle Cottier und Fanny Matthey, Workshop II (PDF, 16 S.)
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Referat von Teresa Marchiori (PDF, englisch, 28 S.)
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Referat von Leo Ratledge (PDF, englisch, 12 S.)
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Referat von Erika Schläppi (PDF, 16 S.)