Bilanzbericht

Menschenrechte, Demokratie und Föderalismus – ein fragiles Gleichgewicht

Abstract

Wie gut sind die Menschenrechte im staatspolitischen System der Schweiz geschützt? Gelingt es dem föderalen Staat mit seinen vielfältigen demokratischen Mitwirkungsrechten, Mitglieder von Minderheiten und anderen vulnerablen Gruppen vor Diskriminierungen und weiteren Menschenrechtsverletzungen zu schützen? Das SKMR hat seit seiner Gründung wiederholt darauf hingewiesen, dass zwischen Menschenrechten, direkter Demokratie und Föderalismus kein Widerspruch bestehen muss. Es bedarf jedoch institutioneller Anpassungen.

Publiziert am 22.10.2022

Föderalismus und Menschenrechte – in kleinen Schritten vorwärts

Die Umsetzung internationaler Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte ist im föderalistischen System oft anspruchsvoll. Damit sie gelingt, braucht es eine gute Koordination und Kommunikation zwischen den beteiligten Akteur*innen, Mechanismen zur Förderung innovativer Projekte und eine funktionierende Aufsicht durch die Bundesbehörden.

Im Themenbereich Institutionelle Fragen untersuchte das SKMR ganz zu Beginn seiner Tätigkeiten, wie die Koordination zwischen Bund und Kantonen im Rahmen der Berichterstattung an die UNO-Vertragsorgane verbessert und ein effektiveres Follow-up der an die Schweiz gerichteten Empfehlungen gewährleistet werden kann. Die damals vom SKMR angeregten Anpassungen wurden teilweise umgesetzt. Dennoch sind weitere Anstrengungen notwendig, damit den internationalen Menschenrechtsgremien ein repräsentatives Bild der Menschenrechtssituation in der Schweiz vermittelt und eine rechtzeitige und vollumfängliche Umsetzung bestehender sowie neuer völkerrechtlicher Verpflichtungen gewährleistet werden kann.

Webseite mit Praxisbeispielen aus sechs Kantonen:

Die UNO-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten, Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. In der Schweiz sind für die Umsetzung dieser Bestimmungen der Bund, die Kantone und die Gemeinden zuständig. Die Kantone spielen dabei eine führende Rolle. Auf einer Webseite präsentiert das SKMR Umsetzungsmassnahmen aus sechs Kantonen. So werden mögliche Strategien zur Umsetzung der UNO-BRK bekannt gemacht und ein Austausch angeregt.

Gute Praxisbeispiele aus Kantonen und Gemeinden stossen Lernprozesse an, die Untätigkeit einzelner Akteur*innen führt hingegen dazu, dass die Schweiz ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen verletzt. Im Themenbereich Institutionelle Fragen hat das SKMR deshalb auch Überlegungen präsentiert, wie zur Umsetzung der Menschenrechte in den Kantonen auch die Vorkehrungen der Bundesaufsicht eingesetzt werden könnten. Diese Überlegungen stehen jedoch erst am Anfang und erfordern zusätzliche Forschung.

Demokratie und Menschenrechte – grosser Handlungsbedarf

Seit der Einführung des Initiativrechts auf Teilrevision der Bundesverfassung wurden 39 Volksinitiativen lanciert, deren Inhalt die Menschenrechte gefährdete; etwa indem sie die Rechte von Minderheiten oder anderen vulnerablen Personen verletzten. Die zuletzt angesetzten Bemühungen, das Initiativrecht menschenrechtskonformer auszugestalten, scheiterten im Jahr 2014. Damit keine weiteren menschenrechtswidrigen Initiativen zur Abstimmung gebracht werden und gegebenenfalls unverhältnismässige Grundrechtseinschränkungen in die Bundesverfassung einführen, sind erneute Anstrengungen zur Regulierung des Initiativrechts dringend notwendig.

Handlungsbedarf besteht auch in Bezug auf den Schutz der Menschenrechte im Gesetzgebungsverfahren. Als legislative Gewalt ist das Schweizer Parlament an die Grund- und Menschenrechte gebunden. Erlässt es dennoch eine grundrechtswidrige Bestimmung, hat dies aber kaum Konsequenzen. Bemühungen, die konkrete Normenkontrolle bei Bundesgesetzen einzuführen und dem Bundesgericht zu erlauben, grundrechtsverletzenden Bestimmungen die Anwendung zu verweigern, sind in der Vergangenheit immer wieder – wenn auch oft nur knapp – gescheitert. In dieser festgefahrenen Situation sind neue Ideen gefragt. Im Themenbereich Institutionelle Fragen hat das SKMR deshalb auf kantonale und ausländische Mechanismen hingewiesen, die der Schweiz als Inspiration dienen könnten.

Empfehlungen zum besseren Schutz der Menschenrechte im Gesetzgebungsprozess:

  • Der Vorrang fundamentaler Menschrechtsgarantien vor abweichenden Bundesgesetzen (sog. PKK-Praxis) wird gesetzlich verankert.
  • Das Bundesgericht prüft die Vereinbarkeit von Gesetzesbestimmungen mit der Verfassung, wenn eine Beschwerde eingereicht wird (sog. Prüfungsgebot).
  • Die Bundesverwaltung hat ausreichend Mittel und Kompetenzen, um Gesetzesentwürfe präventiv auf ihre Grund- und Menschenrechtskonformität zu überprüfen.
  • Eine spezialisierte Parlamentskommission setzt sich vertieft mit menschenrechtlichen Fragen auseinander.
  • Die neue NMRI führt eine jährliche Evaluation der Menschenrechtssituation in der Schweiz durch.

Bei der demokratischen Verwirklichung der Menschenrechte geht es stets um das richtige Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Mehrheiten und den Interessen und Rechten der Einzelnen oder bestimmter Gruppen. Die Frage, welche institutionellen Anpassungen notwendig sind, um dieses Gleichgewicht neu auszutarieren, ist für den Menschenrechtsschutz in der Schweiz zentral. Es ist zu hoffen, dass die neue nationale Menschenrechtsinstitution gerade in diesen Fragen die so dringend notwendigen Entwicklungen in der Schweiz voranbringen kann.

Vulnerable Gruppen – Schutz muss verstärkt werden

Der Schutz vor Diskriminierungen in der Schweiz ist fragmentiert und lückenhaft: Spezifische Gesetze existieren nur im Bereich Gleichstellung von Frauen und Männern und Menschen mit Behinderungen – und selbst deren Anwendungsbereich ist auf wenige Lebensbereiche beschränkt. Auch die bestehenden Fachstellen und Kommissionen des Bundes decken nicht alle von Diskriminierung betroffenen Gruppen ab. Das SKMR fordert eine kohärentere Politik, die alle vulnerablen Personen schützt. Dazu braucht es eine Kombination von Massnahmen im Bereich Partizipation, Zugang zum Recht und Sensibilisierung.

Grund- und Menschenrechte von älteren Menschen:

  • Eine Studie des SKMR zeigt, dass ältere Menschen in der Schweiz von Benachteiligungen betroffen sind. Diese werden aber eher als faktische Probleme und nicht als Grundrechtsfragen erfasst und angegangen.
  • Mit dem Handbuch «Grundrechte im Alter» trägt das SKMR dazu bei, für die menschenrechtliche Dimension von altersspezifischen Benachteiligungen zu sensibilisieren.
  • In Weiterbildungen wurden Mitarbeitenden von Institutionen für ältere Menschen konkrete Handlungsanleitungen für den Berufsalltag angeboten.
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