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Neue Regeln für Schweizer Unternehmen: Berichterstattung und themenspezifische Sorgfaltspflicht

Der indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative

Abstract

Am 29. November 2020 scheiterte die Volksinitiative "Für Verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt" – bekannt unter dem Titel "Konzernverantwortungsinitiative" – am Ständemehr. Somit wird aller Voraussicht nach der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments umgesetzt. Dieser sieht eine allgemeine Berichterstattungspflicht sowie themenspezifische Sorgfaltspflichten in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit vor.
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Autor*innen: Christine Kaufmann, Res Schuerch

Publiziert am 17.12.2020

Die Konzernverantwortungsinitiative scheitert am Ständemehr

Während sich am 29. November 2020 eine knappe Mehrheit des Volkes für die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) aussprach, wurde die Volksinitiative in einer Mehrheit der Kantone abgelehnt und scheiterte deshalb am Ständemehr. Somit tritt der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments in Kraft, vorausgesetzt, dass kein Referendum dagegen ergriffen wird. Andernfalls könnte das Volk über die im Gegenvorschlag vorgesehene Revision des Aktienrechts abstimmen, ein Ständemehr wäre für eine Annahme nicht erforderlich.

Die Anliegen der Initiative: Umfassende Sorgfaltspflichten und zivilrechtliche Haftung

Im Kern ging es bei der Initiative darum, dass Schweizer Unternehmen die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland respektieren und bei Nichteinhaltung haften. Bei Annahme der Initiative wären Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz dazu verpflichtet gewesen, eine angemessene menschen- und umweltrechtliche Sorgfaltsprüfung vorzunehmen. Diese hätte beinhaltet, dass Unternehmen tatsächliche und potenzielle Auswirkungen auf international anerkannte Menschenrechte und die Umwelt ermitteln, Massnahmen zur Verhütung von Menschenrechts- und Umweltverletzungen ergreifen, bestehende Verletzungen beenden und über diese Schritte Rechenschaft ablegen. Diese Sorgfalts­prüfung sollte risikobasiert und im Einklang mit internationalen Standards wie den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen erfolgen. Die Initiative sah eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen vor, sofern eine Verletzung von menschen- und umweltrechtlichen Standards in Ausübung einer geschäftlichen Verrichtung erfolgt und Unternehmen die gebotene Sorgfalt nicht angewendet haben.

Eine Initiative und zwei Gegenvorschläge

Die KVI wurde 2015 lanciert und 2016 gültig eingereicht. 2017 beantragte der Bundesrat in seiner Botschaft dem Parlament, die Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen, da er einen nicht-verbindlichen Ansatz bevorzugte. Entgegen dieser Empfehlung verab­schiedete der Nationalrat im Juni 2018 einen indirekten Gegenvorschlag im Rahmen der laufenden Aktienrechtsrevision. Dieser nahm verschiedene Kernanliegen der Initiative auf, insbesondere eine allgemeine Sorgfaltsprüfungspflicht und eine – gegenüber der Initiative eingeschränkte – zivilrechtliche Haftung. 2020 lehnte der Ständerat den Vorschlag des Nationalrats ab und verabschiedete einen eigenen indirekten Gegenvorschlag.

Während der parlamentarischen Verhandlungen kündigte das Initiativkomitee an, bei Annahme des nationalrätlichen Gegenvorschlags die Initiative zurückzuziehen, nicht aber bei Annahme des ständerätlichen Entwurfs. Im Juni 2020 sprach sich das Parlament schliesslich für die Variante des Ständerats aus, sodass die Initiative Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet wurde.

Der indirekte Gegenvorschlag: Berichterstattung zu nicht-finanziellen Belangen …

Nach dem indirekten Gegenvorschlag werden Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mind. CHF 20 Mio. oder einem Umsatzerlös von mind. CHF 40 Mio. sowie mind. 500 Voll­zeitstellen im Jahresdurchschnitt gesetzlich verpflichtet, jedes Jahr einen Bericht mit Informationen zu nicht-finanziellen Belangen zu erstellen (neuArt. 964bis Abs. 1 OR / neuArt. 964a Abs. 1 OR*). Darin muss mindestens zu folgenden Themen Rechenschaft abgelegt werden: Umwelt, Soziales, Arbeitnehmende, Menschenrechte und Bekämp­fung der Korruption im In- und Ausland. Der Bericht soll Informationen enthalten, die zum besseren Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage des Unternehmens und – soweit dies für das Verständnis notwendig ist – der Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf verschiedene Anspruchsgruppen (Stakeholder) enthalten (neuArt. 964ter Abs. 1 OR / neuArt. 964b Abs. 1 OR*).

… und Sorgfaltspflicht bei Konfliktmineralien und möglicher Kinderarbeit

Nebst der nicht-finanziellen Berichterstattung sieht der indirekte Gegenvorschlag eine Sorgfaltsprüfungspflicht in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit vor. Diese gilt für alle Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz, welche

(1) Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold enthaltende Mineralien oder Metalle aus Konflikt- und Hochrisikogebieten in den freien Verkehr der Schweiz überführen oder in der Schweiz bearbeiten (neuArt. 964quinquies Abs. 1 Ziff. 1 OR / neuArt. 964j Abs. 1 Ziff. 1 OR*), oder

(2) Produkte oder Dienstleistungen anbieten, bei welchen ein begründeter Verdacht besteht, dass sie unter dem Einsatz von Kinderarbeit hergestellt oder erbracht wurden (neuArt. 964quinquies Abs. 1 Ziff. 1 OR / neuArt. 964j Abs. 1 Ziff. 2 OR*).

Der Bundesrat kann Unternehmen von der Sorgfaltsprüfungspflicht befreien, indem er (a) jährliche Schwellwerte bezüglich der Einfuhr von Konfliktmineralien definiert (neuArt. 964quinquies Abs. 2 OR / neuArt. 964j Abs. 2 OR*) sowie (b) Ausnahmen für KMUs und Unternehmen mit geringen Risiken im Bereich Kinderarbeit festlegt (neuArt. 964quinquies Abs. 3 OR / neuArt. 964j Abs. 3 OR*).

Im Detail verlangt die Sorgfaltsprüfungspflicht (1) die Errichtung eines Management­systems und die Festlegung einer Lieferketten­politik; (2) die Ermittlung und Bewertung der Risiken in der Liefer­kette; (3) die Erstellung eines Risiko­management­systems mit konkreten Massnahmen zur Minimierung der festgestellten Risiken und (4) eine jährliche Berichterstattung. Im Zusammenhang mit der Sorgfaltsprüfung betreffend Konflikt­mineralien ist überdies eine Prüfung durch einen externen unabhängigen Dritten, z.B. eine Revisionsgesellschaft, vorgeschrieben (neuArt. 964sexies und 964septies OR / neuArt. 964k und 964l OR*). Bei einer Verletzung der genannten Bericht­erstattungs­pflichten über nicht-finanzielle Informationen und in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit sieht der Gesetzesentwurf vor, dass Unternehmen mit einer Busse von bis zu CHF 100 000 sanktioniert werden können (neuArt. 325ter StGB*). Bei Nichteinhaltung der Sorgfaltsprüfungspflichten durch Unternehmen sind hingegen keine Sanktionen vorgesehen.

In systematischer Hinsicht werden die Bestimmungen zur nicht-finanziellen Bericht­erstattung sowie der Sorgfaltspflichten in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit im Rahmen der Aktienrechtsrevision unter dem Titel «Kaufmännische Buchführung, Rechnungslegung sowie nicht-finanzielle Transparenzbestimmungen und Sorgfaltspflichten» in unmittelbarer Nachbarschaft zu den neuen Bestimmungen über "Transparenz im Rohstoffsektor" (neuArt. 964d–964i OR) verankert.

Enger Bezug zu Regelungen der EU und der OECD

Mit dem Gegenvorschlag lehnt sich die Schweiz teilweise an bestehende Regulierungen in anderen Ländern und der EU an. Die Bestimmungen zur nicht-finanziellen Bericht­erstattung orientieren sich an der CSR-Richtlinie der EU von 2014. Im Kontext von Konfliktmineralien sind die im indirekten Gegenvorschlag aufgenommenen Bestimmungen an die EU-Verordnung 2017/821 zu Sorgfaltspflichten im Bereich Konfliktmineralien sowie den OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hoch­risiko­gebieten angelehnt. Bei der Kinderarbeit stützt sich der Gegenentwurf auf den OECD-Leitfaden Practial actions for companies to identify and address the worst forms of child labour in mineral supply chains und orientiert sich am niederländischen Child Labor Due Diligence Act (siehe auch SKMR-Newsletter vom Januar 2018). Dieses Gesetz ist jedoch noch nicht in Kraft, da zum einen Ausführungs­bestimmungen fehlen und die niederländische Regierung zum andern im Rahmen einer Gesamtevaluation ihrer Politik zur verantwortungsvollen Unternehmensführung die Entwicklungen auf Ebene der EU abwarten will. Weitere relevante Standards für die Definition von Kinderarbeit sind überdies die ILO-Übereinkommen 182 und 138.

Das internationale Umfeld entwickelt sich weiter

Einige der zentralen Instrumente, auf die sich der Gegenvorschlag bezieht, sind derzeit Gegenstand von Überprüfungen: So hat eine Evaluation der CSR-Richtlinie gezeigt, dass Berichterstattungspflichten allein nicht ausreichen. Die EU-Kommission hat deshalb eine Überprüfung der Richtlinie ausgelöst. Eine öffentliche Konsultation hierzu wurde im Sommer 2020 abgeschlossen und ein Entwurf für eine revidierte Regelung soll 2021 vorliegen. Im Bereich Sorgfaltspflichten zeigt zudem eine Untersuchung im Auftrag der EU, dass nicht-verbindliche Sorgfaltsprüfungspflichten die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen nicht nachhaltig verbessern. Im Frühjahr 2020 hat EU Kommissar Reynders deshalb angekündigt, bereits 2021 einen Entwurf vorzustellen, um eine verbindliche Sorgfaltsprüfungspflicht auf Ebene der EU einzuführen. Eine öffentliche Konsultation für neue Regelungen zur nachhaltigen Unternehmensführung ist im Gang. Am 1. Dezember 2020 hat der EU-Rat nun die Kommission formell beauftragt, 2021 einen Vorschlag für einen EU-Rechtsrahmen für eine nachhaltige Unternehmensführung vorzulegen, einschließlich branchenübergreifender Sorgfaltspflichten von Unternehmen entlang der globalen Lieferketten. Auch in verschiedenen Staaten – wie z.B. Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Finnland – wird die Einführung einer verbindlichen menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfungspflicht diskutiert.

Nicht das Ende, sondern der Anfang einer Diskussion

Wie diese unterschiedlichen Entwicklungen auf Ebene der EU und in anderen Ländern aufzeigen, markiert der indirekte Gegenvorschlag nicht das Ende einer Diskussion, sondern deren Anfang. Für eine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz sind die inter­nationalen Rahmenbedingungen, in denen sich Schweizer Unternehmen bewegen, zentral. Diese Rahmenbedingungen entwickeln sich im Bereich verantwortungsvolle Unternehmensführung derzeit sehr dynamisch. Der Gegenvorschlag enthält ver­schiedene Delegationsnormen, die dem Bundesrat bei der Umsetzung des Gesetzes Spielraum geben, diesen Entwicklungen in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen Rechnung zu tragen. Bereits jetzt ist aber abzusehen, dass weitere Schritte auf Gesetzesstufe werden folgen müssen, wenn die Schweiz mit internationalen Entwicklungen auf Dauer nachziehen will.

* Nach Inkrafttreten des indirekten Gegenvorschlags zur Volksinitiative "Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt" werden die Bestimmungen wie angegeben abgeändert.

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