Artikel

Eheschliessung von Sans Papiers

Analyse von Art. 98 Abs. 4 ZGB bezüglich des rechtmässigen Aufenthalts in der Schweiz für die Vorbereitung der Eheschliessung (Lex Brunner)

Abstract

Autorin: Fanny Matthey

Publiziert am 06.07.2011

Bedeutung für die Praxis

  • Direkt relevant für die Kantone.
  • Alle Personen mit einer Kurz- oder Daueraufenthaltsbewilligung dürfen in der Schweiz heiraten.
  • Nicht legal in der Schweiz lebende Personen müssen grundsätzlich in ihr Heimatland zurückkehren, um dort ein Visum zu beantragen (oder direkt zu heiraten). Die Kantone können jedoch den Aufenthalt für die Vorbereitung der Eheschliessung gestatten, wenn die Zulassungsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt werden.

Der neue Artikel 98 Abs. 4 ZGB über den rechtmässigen Aufenthalt für die Eheschliessung – sowie der entsprechende Art. 5 Abs. 4 PartG für die eingetragene Partnerschaft – sind am 1. Januar des laufenden Jahres in Kraft getreten. Die neue Gesetzgebung wurde in der Rechtslehre bereits mehrfach kritisiert, insbesondere weil sie nur schwer mit dem internationalen Recht, vor allem mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist (siehe dazu den Artikel von MEIER/CARANDO im Jusletter vom 14. Feb. 2011).

Es ist zu überprüfen, was der Begriff "rechtmässiger Aufenthalt" gemäss Art. 98 Abs. 4 ZGB genau für die verschiedenen betroffenen Personengruppen bedeutet, da nicht nur Paare ohne legalen Aufenthaltsstatus in der Schweiz davon betroffen sind, sondern zum Beispiel auch – zumindest indirekt – Schweizerinnen und Schweizer (oder rechtmässig in der Schweiz lebende Ausländerinnen und Ausländer), die eine(n) im Ausland wohnende(n) Ausländer/in heiraten möchten.

Rechtmässiger Aufenthalt

Der Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) vom 31. Januar 2008 enthält nützliche Ausführungen zu diesem Punkt. Ein rechtmässiger Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern liegt vor, wenn sie:

  • eine gültige Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzen (Ausweise L, B und C);
  • sich im Rahmen eines Asylverfahrens oder einer vorläufigen Aufnahme in der Schweiz aufhalten (Ausweise N und F)
  • das erforderliche Visum besitzen und sich im Rahmen des bewilligungsfreien Aufenthalts in der Schweiz aufhalten (d.h. bis zu drei Monaten ohne Erwerbstätigkeit);
  • nicht der Visumpflicht unterstehen und sich im Rahmen des bewilligungsfreien Aufenthalts in der Schweiz aufhalten (d.h. bis zu drei Monaten ohne Erwerbstätigkeit). Von der Visumpflicht befreit sind insbesondere Angehörige der EU- und EFTA-Staaten;
  • sie eine Frist zur Ausreise erhalten haben (z.B. abgewiesene Asylbewerber), die noch nicht abgelaufen ist.

Die Erläuterungen der SPK-N werden auch in der vor Kurzem vom BFM aktualisierten Weisung zum Familiennachzug von Ausländerinnen und Ausländern aufgeführt. Darüber hinaus enthält die Weisung folgende Punkte:

  • Ausländerinnen und Ausländer mit einem Ausweis G (Grenzgängerbewilligung) oder Ci (Aufenthaltsbewilligung mit Erwerbstätigkeit für Familienangehörige von Beamten intergouvernementaler Organisationen und für Mitglieder ausländischer Vertretungen);
  • Ausländerinnen und Ausländer, die über einen gültigen Aufenthaltstitel eines Schengen-Mitgliedstaats verfügen, der zur visumsfreien Einreise berechtigt (während max. 3 Monaten innerhalb von 6 Monaten).

Verfahrensablauf

Alle Personen, die sich rechtmässig in der Schweiz aufhalten und heiraten möchten, müssen für die Durchführung des Vorbereitungsverfahrens ein Dokument zum Nachweis der Rechtmässigkeit ihres Aufenthaltes vorlegen (Art. 64 Abs. 2bis ZStV).

Kann eine Person ihren rechtmässigen Aufenthalt nicht nachweisen, erhält sie vom Zivilstandsamt eine Frist, innert welcher sie ihre Situation regeln kann (d.h. die erforderlichen Dokumente zum Nachweis des rechtmässigen Aufenthalts einreichen). Für die zuständigen Migrationsbehörden ist diese Frist jedoch nicht bindend.

Regelt die betroffene Person ihre Situation nicht, muss sie grundsätzlich die Schweiz verlassen und in ihr Heimatland zurückkehren. Danach kann sie entweder bei der Schweizer Vertretung im Ausland ein Visum zur Vorbereitung der Eheschliessung beantragen oder eventuell in ihrem Land heiraten (unter der Voraussetzung, dass der/die zukünftige Ehegatt/in in das Land einreisen und dort heiraten darf).

Personen, die im Ausland leben und in der Schweiz heiraten möchten, müssen ein Visum beantragen (sofern sie für die Einreise in die Schweiz ein Visum benötigen). Ein Visum sollte grundsätzlich für die Dauer der Vorbereitung der Eheschliessung ausgestellt werden. Dauert die Vorbereitung länger als drei Monate, wird eine Kurzaufenthaltsbewilligung erteilt. Es besteht jedoch kein Anspruch auf die Erteilung eines Visums oder einer Aufenthaltsbewilligung. Die Behörden, die einen negativen Beschluss fassen (z.B. weil berechtigte Zweifel bezüglich der Identität des Antragstellers oder des Zwecks seines Aufenthalts bestehen, weil ein Schengenstaat sich der Einreise auf sein Hoheitsgebiet widersetzt oder weil keine Abschlussbestätigung einer gültigen Reisekrankenversicherung vorliegt), müssen besonders darauf achten, dass das Recht auf Ehe und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden.

Ermessensspielraum der Kantone

In Ausnahmefällen müssen die Personen, die sich unrechtmässig in der Schweiz aufhalten, die Schweiz nicht verlassen. Art. 17 Abs. 2 AuG sieht vor, dass die zuständige kantonale Behörde den Aufenthalt während des Verfahrens gestatten kann, wenn die Zulassungsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt werden (es dürfen z.B. keine Indizien für eine Scheinehe vorliegen, die Voraussetzungen für den Familiennachzug müssen erfüllt sein usw.). Die Kantone verfügen somit über einen gewissen Ermessensspielraum.

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